Als schliefe sie
Heilpraktiker, die nach der Methode traditioneller arabischer Volksmedizin arbeiteten. Dort, in dem dunklen Haus mit stets geschlossenen Fenstern und zugezogenen Vorhängen, hatte Milia einen seltsamen Geruch wahrgenommen. Außerdem hatten diffuse Gefühle von ihr Besitz ergriffen.
Milia hatte große Veränderungen an sich selbst bemerkt. Die Hände fest um die Seile geklammert und mit den Beinen unermüdlich vor- und zurückschwingend, hatte sie sich immer höher hinaufgeschaukelt, bis das lange kastanienbraune Haar nur so im Wind wehte. Dann war sie gestürzt. Wie ihr die Seile entglitten waren, wusste sie nicht mehr. Jedenfalls lag sie plötzlich am Boden, im rechten Bein Schmerzen. Sie versuchte aufzustehen. Doch die Schmerzen zogen vom Schienbein bis in den Hals, und sie brach zusammen. Sie rief Mûsa. Vergeblich. Mûsa kam nicht. Also rappelte sie sich allein hoch, hüpfte auf dem linken Bein bis an die Treppe und hievte sich sitzend mit Hilfe der Hände und des gesunden Beins die vier Stufen zur Küche hinauf.
Auf der Schaukel durch die Luft sausend, war ihr bewusst geworden, dass sich alles verändert hatte. Seit dem Tag am Meer, als sie ihre kleinen Brüste vor den Blicken der Jungen zu verbergen suchte, und dem Traum vom Schaf in der darauffolgenden Nacht waren vier Jahre vergangen. In all dieser Zeit war ihr verborgen geblieben, dass sie sich vom kleinen, pummeligen Mädchen zu einer hoch aufgeschossenen jungen Frau mit zierlich schmalem Kinn, langen, schlanken Beinen und wohlgeformten Hüften verwandelt hatte.
Dann auf einmal, während sie sich, Arme und Beine immerzu streckend und anwinkelnd, immer höher schaukelte, war sie zur Frau geworden. Von einem Augenblick auf den nächsten hatte sie sich selbst erkannt. Sie sah ihr kastanienbraunes Haar in der Sonne schimmern. Sah das Weiß ihrer Haut gespiegelt von dem kräftigen grünen Laub um sich herum. Einst rund wie ein Ball und dafür unablässig von den Brüdern gehänselt, hatte sie nun die eigene Anmut entdeckt. Hochgewachsen, der Körper stattlich, aber nicht dick. Die Augen groß und honigfarben. Und die Krönung: kastanienbraunes, schwarz rötlich blond changierendes Haar.
Der brünetten Kleinen im Traum verriet sie nichts von ihrer Verwandlung. Sie wollte mit ihr verbunden bleiben. Denn das Traummädchen, das nach Belieben erschien und verschwand, bewegte sich weitaus freier als das pummelige Mädchen mit nackten Brüsten im Meer unter den gierigen Blicken der Jungen. Die Kleine im Traum konnte, weil sie so schlanke Beine und einen akrobatisch wendigen Körper hatte, ohne Weiteres behaupten, sich nicht wesentlich von einem Jungen zu unterscheiden. Sie genoss uneingeschränkte Bewegungsfreiheit und sah die Welt aus graugrünen Augen.
Als Milia von der Schaukel fiel, stellte sie überrascht fest, dass sie ihr altes Bild abgelegt hatte. Jenes Bild, das unsäglichen Selbstekel in ihr ausgelöst und ihr jeden Blick in den Spiegel verleidet hatte, weil sie jedes Mal vor dem eigenen pickeligen Gesicht zurückschrak.
Nun auf der Schaukel sah sie sich wie von Wasser gespiegelt. Das Laub, lauter grüne, sie von allen Seiten umgebende Wasserspiegel, bot ihr unzählige Bilder einer anderen Milia. Einer Milia, die dem Kinderkostüm, dem Dunkel des alten Körpers entstiegen, zu einem neuen Körper gefunden und sich mit ihm vereint hatte.
Warum ist sie von der Schaukel gefallen? Weil sie selbstvergessen ihr neues Bild bewunderte? Weil sie, die Augen geschlossen, das alte Bild mit dem verglich, was ihre vom Wind entblößten weißen Beine offenbarten? Oder hatte sie sich zu weit vorgebeugt, weil sie es kaum erwarten konnte, die Schaukel anzuhalten, ins Haus zu rennen und sich im Spiegel zu betrachten?
Im Flug durch die Luft hatten sich die Veränderungen vollzogen. So jedenfalls Milias Erinnerung. Auf der Schaukel sei sie zur Frau geworden, sollte sie von da an sagen.
Die Sache mit dem Schaf stammte von ihrer Mutter. Nein… Von diesem Traum hatte die Mutter keine Ahnung. Eines jedoch blieb ihr nicht verborgen. Das Blut an Milias kurzen, stämmigen Schenkeln. Sie sei nun eine Frau und müsse sich auf Ehe und Mutterschaft einstellen, sagte Saada. Milia hatte ein anderes Bild von sich. Sie sah sich als einen Haufen Fleisch und Knochen, durchbohrt von einer offenen Wunde. Sah sich, gezeichnet von jener monatlichen Wunde, die sie fortan begleiten würde, und empfand tiefe Scham.
»Haben das meine Brüder auch?«, fragte sie ihre Mutter.
Saada sah sie
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