Als schliefe sie
glich. Milia sah, wie die dunkle Haut des Mannes auf sie abfärbte und ihren Körper prägte. Sie begriff, dass sie die Sprache ablegen musste wie Kleider. Denn Frauen entblößen sich, wenn sie sprechen. Männer dagegen verhüllen sich dabei. So stellte sie sich die Situation im Bett vor. Er angezogen, sie nackt. Sie fand keine angemessenen Worte. Also beschloss sie zu schweigen und angezogen zu bleiben. Nein, das war nicht ihre Entscheidung. Vielmehr hatte sie von ihrer Mutter Anweisung bekommen, sich im Ehebett zu fügen.
»Männer sind ganz verschieden«, klärte die Mutter sie auf. »Einige, und das gilt besonders für die heutigen Zeiten, haben ihre Frau gern nackt im Bett, wie einen Teig zum Kneten. Kerle mögen das. Und du musst machen, was dein Mann von dir verlangt.«
»Und Papa? Hat er das auch gemacht?«, fragte Milia.
»Lass deinen Vater aus dem Spiel! Gott hab ihn selig. Über Tote spricht man nicht. Das ist Sünde. Aber nein, dein Vater hat nicht darauf bestanden, dass ich mich ausziehe. Er selbst hat sich zwar nackt ausgezogen. Aber für mich war das nichts. Ich habe mich geschämt. Ich konnte mich nicht einfach ausziehen. Immerhin schliefen die Kinder im Zimmer nebenan! Aber ihm war es einerlei. Er hat sich unter der Bettdecke ausgezogen und mir überlassen, ob ich es auch tue oder nicht.«
»Und dann?«
»Das wirst du schon noch selbst herausfinden«, sagte die Mutter barsch. »Auf jeden Fall musst du die Lust immer unbedingt in dich hineinziehen. Du darfst sie nie offen zeigen oder übersprudeln lassen. Alles muss in dir drinbleiben, mein Kind! Männer fühlen sich nämlich bedroht, wenn sie mitbekommen, dass die Frau genauso viel Spaß hat wie sie und stöhnt. Das habe ich am eigenen Leib erfahren und daraus meine Lehre gezogen. Wieso erzähle ich dir das überhaupt? Das sind Dinge, über die man nicht spricht. Dein Vater, Gott hab ihn selig, war ein wunderbarer Mann. Aber ich habe das Ganze nicht mehr ertragen. Kinder waren ja nun schon da. Also Schluss damit. Es ging bei mir irgendwann nicht mehr. Ich habe die Sünde jedes Mal förmlich gerochen. Na ja, vielleicht habe ich dem armen Kerl damit auch Unrecht getan.«
»Daran ist die Nonne schuld. Sie hat dir dieses Zeug eingeredet.«
»Du sollst nicht so über die Nonne reden! Das ist eine Heilige. Möge Gott uns ihren Segen bescheren.«
Milia begriff die Dinge anders. Sie hatte die Vögel fallen sehen und war in Schweigen verfallen. Nadschîb hatte sich aus ihrem Leben geschlichen, und sie hatte einen schwarzen Vorhang über die Geschichte gesenkt. Alle redeten hinter vorgehaltener Hand darüber, weil sie glaubten, dass Milia nicht Bescheid wisse. Milia aber wusste bestens Bescheid. Sie hatte, als die Vögel tot vom Himmel fielen, die Wahrheit in Nadschîbs Augen gesehen.
Sich den Vogeltraum zu vergegenwärtigen fiel Milia nicht leicht. Dazu musste sie ganz und gar in die Dunkelheit eintauchen. Und hatte sie ihn schließlich vor Augen, fand sie keine Worte dafür.
Mit der Zeit lernte Milia, ihre Träume einzuordnen. Denn sie ließen sich in drei Arten unterscheiden.
Da gab es zum einen die flachen Träume. Diese erschienen am Morgen und leiteten das Erwachen ein. Es waren simple Träume, die sich um Details aus dem Alltag drehten und die Augen dazu verführten, sich vor dem grellen Morgenlicht zu schützen und noch eine Weile geschlossen zu bleiben. Diese Träume bedeuteten Milia nichts. Deshalb wischte sie sie fort. Sie brauchte nur die Augen zu öffnen, und ihnen war ein Ende gesetzt. Sobald die Bilder verflogen waren, schloss sie die Augen wieder. Nun drang sie in tiefer gelegene Gefilde vor und beschwor den wahren Traum herauf. Jenen Traum, der irgendwo unter den Lidern schlummerte.
Die zweite Art waren die eingegrenzten Träume. Diese nahm Milia mit in den Schlaf. Sie schloss die Augen, der Kopf wurde ihr schwer, und schon begann sie Bilder und Geschichten zu weben. Zu schlafen bedeutet den Kopf auf ein Kissen zu legen. Milias Kissen aber bestand nicht aus Baumwolle, Wolle oder Federn, sondern aus Geschichten. Den Kopf auf ihr langes, rundes Kissen gebettet, das sich auch gut als Rückenlehne eignete, webte Milia gemächlich ihre Geschichten. Aus den Bildern, die ihr erschienen, wählte sie frei aus und setzte die einzelnen Elemente nach Belieben neu zusammen. So wurde Nadschîb, der Rechtsanwalt, zu dem Bäcker Wadî’. Wadî’ wurde zu dem Priester der Erzengel-Michael-Kirche. Der Priester liebte die heilige Nonne und so
Weitere Kostenlose Bücher