Als würde ich fliegen
hättest, wär’s auch nicht auseinandergefallen, oder?«, sagte er zu Crow. »Du redest viel zu viel Scheiß, Homeboy.«
»Wen nennst du hier Homeboy?«
»Easy«, sagte Jake. »Wie bist denn du heut Abend drauf, Mann. Das kommt von dem ganzen Nijitsky-Mist, den du liest, das macht dich echt kirre.«
»Nijitksy wer?«, fragte Nigel.
»Ni jins ky.«
»Du, lass mal, fang besser nich damit an.« Jake warf Lucas einen diskreten Blick zu. »Sagen wir einfach, er hat seine Nase ein bisschen viel in ein Buch gesteckt – hey, der Kalauer musste jetzt sein.« Crow kicherte.
»Meine Schwester ist auch so drauf«, sagte Nigel. »Die liest diese New-Age-Tussi Iyanla Vanzant, als wär’s die Bibel, Mann.«
» Nein! Meine Mum auch! Die zitiert das auch ständig«, sagte Crow.
»Ich sag’s dir.«
Ich könnte ja jetzt hingehen, dachte Lucas. Ich könnte an seine Tür klopfen und ihn zur Rede stellen.
»Also, einmal«, sagte Crow, »ist mein Alter so sauer geworden, weil sie ständig dieses spirituelle Gelaber von sich gibt, da hat er all ihre Iyanlas in den Müll geworfen. Sie hat ihm deshalb eine gescheuert.«
»Echt?«
»Meine Mum würd sich so was nicht bieten lassen.«
Er war so breit, sein Hals war so heiß. Die Kügelchen in seinem Sitzsack zischten. Sie verdunsteten unter ihm, der Boden löste sich auf, das Blut raste durch seine Hände. Einen kurzen Moment lang wurde seine Aufmerksamkeit wieder in das Gespräch gezogen. Eine Stimme, die nicht wie seine klang, fragte: »Und, hat er zurückgeschlagen?«
Crow runzelte die Stirn. Es wurde still. »Was willsten damit sagen? Mein Alter schlägt doch nich seine Frau.«
Für den Bruchteil einer Sekunde klang Crow genau wie Antoney. Es war, als wäre er plötzlich da, in diesem Zimmer. Lucas nahm einen kräftigen Zug. Alle schauten ihn an. »Das Zeug steigt mir in den Kopf, Bro«, sagte er. Sag nicht immer Bro , hörte er Denise vom Wasser her. Das passt nicht zu dir.
Er sah durch die Schwaden hindurch zu Jake, der am Fenster lehnte. Hinter ihm stand ein Schatten im Licht der Straßenlaterne, eine breitschultrige Gestalt, langer Hals, Filzhut, er stand da und schaute ihn an. Er trug Vaslavs Mantel.
»Luke. Alles cool?«, fragte Jake.
»Ich muss los.«
Draußen, auf der Straße, wurde es besser, wenn auch nur kurz. Die Passage, die zur All Saints Road führte, verängstigte ihn mit ihrem finsteren Grün. Er eilte voran und stolperte über eine zerbrochene Flasche. Er wollte gar nicht zu Riley, doch als er auf die Portobello Road kam, war ihm der Gedanke, nach Hause zu gehen, unerträglich. Seine Füße wandten sich von alleine nach links. Er ging an der Brasserie und dem Printshop vorbei, bog nach rechts auf die Elgin Road in Richtung Grenzhügel. An jeder Gestalt, die an ihm vorüberging, entdeckte er etwas von Antoney. Ein Frauenrock war aus dem gleichen Material wie sein langer Ledermantel; er stand inmitten der Nachtschwärmer, die vor den Bars ausharrten; die Tauben auf den Balkonen und in den Bäumen durchbohrten Lucas mit denselben wachsamen Augen. An der Kuppe des Hügels flog ein Taubenschwarm jählings aus einer gewaltigen Platane auf, Lucas stolperte vor Schreck auf die Straße, vor den nahenden 52er, der ihn nur knapp verfehlte. Als er Rileys Haus in der ruhigen, gewundenen Straße in Holland Park erreichte, war er vollkommen außer Atem. In ihm brodelte eine angstvolle Erwartung, dass das, was nun geschehen würde, ihm den Rest geben und er sich davon nie mehr erholen würde, aber zurück konnte er auch nicht. Es war die gleiche Angst, die er vor der Kassette verspürt hatte, nur um ein Vielfaches schlimmer.
Er stand vor dem Tor und sah auf das Haus. Das Flurlicht brannte, die Vorhänge waren geschlossen, ein Schein drang aus dem Wohnzimmer. Eine Viertelstunde lang hielt ihn seine Angst dort fest. Der Ärger über die Vorstellung, dass Denise und Riley gemeinsame Sache machten, trieb ihn schließlich voran. Der überwucherte Pfad war wilder als bei seinem ersten Besuch. Lucas hatte sich immer darüber gewundert, dass der Vorgarten im Vergleich zum Hauptgarten so vernachlässigt war, als ob er möglichst abweisend wirken sollte. Keine Reaktion auf sein Klopfen. Er klopfte erneut, beharrlicher. Als noch immer keine Antwort kam, klopfte er ans Fenster. »Lassen Sie mich rein! Riley, machen Sie die Tür auf!« Er ging über den Pfad zur Einfahrt an der Seite des Hauses.
Küchen- wie auch Badezimmerfenster waren verschlossen, er konnte also nicht
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