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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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fand Lucas, genau die richtige Anrede für einen schmissigen Journalisten aus Notting Hill, und die klangliche Ähnlichkeit mit »Lucas« machte die Lüge nicht ganz so groß. Dabei hatte er im Vorfeld sehr wohl geprobt, einer Fremden am Telefon zu sagen, er sei der Sohn von Antoney Matheus, aber es hatte sich komisch angefühlt, als ob ein fremder Mund die Worte spräche. So hatte er sich entschieden, Simone erst von Angesicht zu Angesicht zu offenbaren, wer er war. Sie blätterte interessiert durch das Heft. Um sie von Seite sechs abzulenken, langte er über den Tisch und schlug die »Was macht eigentlich …?«-Kolumne auf. Finn hatte sich von Simone de Laperouse’ obskurer Biografie locken lassen und bereit erklärt, auch sie in der Rubrik zu featuren.
    »Ruby Turner?«, fragte sie. »Na, die ist doch noch da.«
    Lucas setzte zu einer Erklärung an: »Sicher, die Seite ist ja auch für Künstler, deren großer Erfolg …«
    »Lange zurückliegt, ich weiß … Beruhigen Sie sich, ich scherze bloß. Alles hat irgendwann ein Ende.«
    Die Artikel aus dem Schrank hatten Simone de Laperouse als eine der heißesten Attraktionen des Midnight Ballet gepriesen, als »Geschöpf mit großem Potenzial« und einer »sprühenden, entfesselten tänzerischen Sprache«. Dieser Tage gab sie stundenweise Tanzunterricht in einem Gemeindezentrum in Lambeth, und dort hatte Lucas sie auch ausfindig gemacht. »Ich muss zugeben, Ihr Anruf hat mich überrascht«, sagte sie. »Es ist Jahre her, dass jemand das Midnight Ballet erwähnt hat. Ich hatte angenommen, wir wären längst vergessen.«
    »Nicht bei uns«, sagte Lucas. »Unser Herausgeber mag – lokale Themen.«
    Er schaute in sein Notizbuch und versuchte, sich zu sammeln. (Für Cynthia. Tu es, für Cynthia.) Dann sagte Simone wehmütig, eine Hand an die elegant-pudrig, gespenstisch braune Wange gelegt: »Dieser Ort weckt so viele Erinnerungen. Samstagnachmittags haben wir hier immer Filme angeschaut.«
    Lucas sagte ungebremst: »Wie, die andern auch?«
    Die Grove Brasserie war nicht immer schick gewesen. Bevor sie so schick geworden war, war sie das Café des »Grove Picture House«, eines heruntergekommenen Kinos gewesen, das im Ursprung, in Toreths Jugend, einmal ein Varietétheater war. Das Lichtspielhaus hatte im Laufe der Jahre mehrfach den Besitzer gewechselt und dabei zwischenzeitlich immer wieder geschlossen. In den frühen Neunzigern hatte es sich auf das Black Cinema spezialisiert, sich für Spike Lee und John Singleton begeistert, mit Wehmut auf Jimmy Cliff in The Harder They Come und Gregory Isaacs in Rockers geschaut. Der Vorführraum lag damals am Ende einer Wendeltreppe. Es gab nur einen Kinosaal, und nicht immer verlief alles reibungslos. Mancher Angestellte musste zugleich den Vorführer geben, und oft wurde die Leinwand beim Rollenwechsel schwarz. Lucas hatte hier schlechtes, trockenes Popcorn gegessen, das salzige ebenso fade wie das süße, und voller Anteilnahme die vielen kleinlichen Beschwerden mitangehört, die am Verkaufsstand auf Jake einprasselten. Es war keine große Überraschung, dass auch diese Erscheinungsform des Lichtspielhauses schließen musste. Dann kam ein reicher Schwede, der den Schick verordnete.
    Nun hieß es »Grove Screening Rooms«. Im Kinosaal war eine neue Bestuhlung mit bequemen Armlehnen. In der Brasserie wurde das Salatangebot revolutioniert (nieder mit Iceberg-, ein Hoch auf Babywildsalat und Rucola). An der Bar gab es keine Knabbereien mehr, nur noch Nüsse (außer Erdnüssen natürlich), das komplette bisherige Personal wurde entlassen, bis auf einen Mitarbeiter mit interessanter, weil kommerzialisierbarer Frisur. Jake hatte feststellen müssen, dass ihm seine Dreadlocks in erstaunlichen Situationen nützten. Das neue Management hieß ihn weiße Hosen anziehen, ein weißes Hemd, eine lange, weiße Bistroschürze und, das war das Schlimmste, eine weiße Fliege. Dann war ihm auch noch aufgetragen worden, in Zeiten von Ungeschäftigkeit nicht etwa gelangweilt herumzustehen, so etwas war antikapitalistisch, sondern sein Silbertablett auf den Fingerspitzen herumzuwirbeln. »Ich seh wie’n Arsch aus«, waren seine ersten Worte gewesen, als Lucas ihn in dieser neuen Aufmachung erblickt hatte. Wäre Jake nicht, hätte Lucas’ Treffen mit Simone de Laperouse in einem schlichten Imbiss stattgefunden.
    Jake kam in seiner weißen Uniform an ihren Tisch, mit gezücktem Notizblock und verlegen-distanziertem Blick. Lucas hatte mit ihm

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