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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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sie mochte die weichen Locken. In den vergangenen Tagen hatte sie erfahren, dass Bluey mit dreizehn von zu Hause weggelaufen war, weil er zum Zirkus wollte, dann aber bei einem Onkel in Ealing angekommen war und in dessen Bäckerei arbeiten musste. Er wirkte jünger, als er war. Er war achtzehn, fast neunzehn.
    »Ich hab auch Angst«, sagte sie.
    »Du doch nich. Siehst nicht so aus.«
    »Im Ernst. So was hab ich doch noch nie getan. Nur in der Schule.«
    »Ich würd am liebsten weglaufen.« Bluey warf ihr einen verliebten Blick zu. »Lass uns weglaufen, du und ich.«
    Je näher der Moment des »Vorhang hoch!« rückte, umso kopfloser und irrationaler wurde Antoney. Schließlich behauptete er sogar, die Bühne sei seit der Kostümprobe geschrumpft, woraufhin ein Techniker Antoney in trockenem Ton darüber informierte, bei dieser Bühne handele es sich um eine nicht-bewegliche Konstruktion. Antoney nahm sich keine Zeit zu essen. Dann verschwand, vorübergehend, das Shango-Buschmesser. Sein rotes Oberteil war plötzlich fadenscheinig. Mit ihm war kein Reden. Eine halbe Stunde, bevor die Show beginnen sollte, als sich draußen die Lobby füllte und es rumorte, stürmte er voller Panik aus der Männergarderobe. » Wieso ist es hier drin so heiß? Da kann man doch keinen klaren Gedanken fassen! Und wo zur Hölle ist Oscar?«
    Eine Stimme antwortete aus dem Dunkel: »Er hat sich hinten an seinen Platz gestellt.«
    The Wonder saß in einer düsteren Ecke auf einer Holzkiste vor der Garderobe. Er saß einfach da in seinem orangefarbenen Musikergewand, als würde er auf den Bus warten. Antoney hätte gleichzeitig lachen und ihn schlagen mögen.
    »Was machst du da, Mann?«, fragte er.
    »Ich gönn mir meine Minute«, sagte The Wonder. »Komm, setz dich zu mir!«
    »Wonder, wir …«
    » The Wonder, bitte. Antoney, ich hab dir das schon einmal gesagt. Wonder ist ein Mädchenname.«
    Darauf wusste Antoney nichts zu entgegnen. Knurrend setzte er sich auf die Kiste, sie erinnerte ihn an Katherines Truhe. Er wandte The Wonder den Rücken zu, beugte sich nach vorne, stützte die Ellbogen auf die Knie, die Schultern wie Zement, rang die Hände und tappte mit den Füßen.
    »Große Sache«, sagte The Wonder.
    »Ja ja.«
    »Zu meiner Zeit als Feuerschlucker hab ich auch manchmal Angst gehabt, dass meine Auftritte nicht so ankommen. Besonders am Anfang. Es soll ja alles klappen.«
    »Ja ja«, machte Antoney unbeteiligt.
    »Ich hab immer Angst gehabt, dass ich mich selbst in Brand stecke. Jemand anders verbrenne und im Gefängnis lande oder so was Schreckliches. Dass ich mein Publikum nicht begeistern kann und mich blamiere.« Er knuffte Antoney, der nicht länger mit dem Fuß herumtappte, in die Seite. »Und weißt du, was ich dann getan hab?«
    »Was?«
    »Vor der Show hab ich mir meinen Drink genommen – damals war ich Brandy-Fan, aber, wie du weißt, trink ich heut nicht mehr, denn es schadet dir, jedenfalls kannst du jedes hochgeistige Getränk nehmen, es muss nicht Brandy sein. Also hab ich meinen Drink genommen und ein wenig davon auf die Bühne gegossen, damit es Glück bringt.« The Wonder hatte eine warme, leicht hohe Stimme.
    Antoney wandte sich um. »Du meinst, wie so ’ne Art Trankopfer?«
    »Ja, ganz genau. Als Gebet an die Götter, die negative Energie zu vertreiben. Ich bin überzeugt, dass es bei mir gewirkt hat. Mein Publikum hat sich nie beklagt … Und außerdem«, fügte er hinzu, während Antoney all das verdaute, »ist ein Moment der Ruhe, ganz mit sich allein, sehr wichtig. Es ist nicht gut, vor einer Show so die Nerven zu verlieren. Ist schlecht fürs Herz.«
    Kurz danach schickte Antoney Ricardo an die Bar, um einen Rum zu holen.
    Und kurz danach verlor er seine Stimme.
    Beim Wein in der Grove Brasserie hatte Simone Lucas die Premiere geschildert, so genau, so lebhaft, als wäre es erst eine Woche her. Sie wusste noch, dass sie barfuß hinter Carla in den Kulissen gestanden hatte, während sich der Zuschauerraum überraschend füllte, die Hände auf die Taille ihrer Freundin gelegt, beide in roten Viskoseröcken und ärmellosen Trikots. Carla sagte zu Simone, dass sie sich vollkommen fremd vorkäme. Sie waren stark geschminkt. Sie sah wie eine erstaunte braune Puppe aus. Jedes Mal, wenn sie versuchten, am Vorhang vorbei auf das Publikum zu spähen, ging Simone auf die Zehenspitzen, eine Angewohnheit, die noch aus ihren Ballettzeiten stammte.
    Im Publikum fanden sich die Leute aus dem Grove, allerlei

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