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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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er nur, wenn er Bock dazu hatte. Mum zahlt damals alle Rechnungen und lässt sich alles gefallen, weil sie den Bastard liebt, und das gibt ihm das Recht, mich rumzukommandieren, als wär er ein richtiger Vater? Er war da, ja, aber nicht für mich. Ich konnte ja schon seinen Anblick nicht ertragen.«
    »Das ist besser als nichts«, sagte Lucas.
    »Nein, ist es nicht. Du hast echt keine Ahnung.«
    »Wie kannst du deinen Dad so runtermachen!«
    » Weil er da war und ich nichts davon hab, bis auf das Recht, ihn runterzumachen.«
    Jake gab einer Kellnerin das Zeichen, die Rechnung zu bringen, und grüßte eine Bekannte, die an der Theke stand, mit ungewöhnlichem Ernst, nur Nicken, kein Lächeln. Er schüttelte den Kopf über einen Gedanken, den er nicht äußerte. »Es stimmt, ich muss mich nicht all das fragen, was du dich fragst«, sagte er, »aber ich eiere ständig rum. Ich beobachte mich ständig, weil ich Angst hab, dass ich am Ende noch wie er werd. Dein Leben ist eine unbeschriebene Tafel, Luke. Kein Schatten, kein Muster, nichts, was du wiederholen musst. Du bist frei – warum willst du dir das verderben? Ich find, du kniest dich da viel zu tief rein.«
    Lucas wollte die drei Pfund, die er in der Tasche hatte, zur Rechnung beitragen, aber Jake wehrte sich. Lucas drückte ihm das Geld in die Hand, er bestand darauf, und Jake nahm es an, um Lucas nicht zu verletzen. Sie trennten sich unter dem Westway, stupsten sich zum Abschied mit den Schultern an. Jake ging in Richtung Norden, auf einen Streifzug durch Honest Jon’s. Lucas ging, um Denise zu entkommen, in Richtung Süden, in das Viertel um die Tavistock Road, wo er sich mit MC Crow zu einer kleinen Nachmittagspfeife in die Sonne setzte. Sie schauten zu, wie eine dicke Frau mit Pinselpferdeschwanz ihre Kinderschar um den Kinderwagen herum dirigierte, wie die Schlange der Schüler vor dem indischen Kiosk wuchs. Als Lucas aufbrach, dachte er über Jakes Worte, über Wiederholung nach. War Wiederholung unausweichlich? Er stimmte nicht mit Jake überein. Es war besser, wenn man wusste. Und vielleicht wiederholte man sowieso, auch wenn man gar nichts wusste, wegen der Gene, weil sich das Leben von Generationen in sie eingeschrieben hatte. Er nahm kaum wahr, dass er zu Oscar ging. Die Füße trugen ihn von selbst dorthin, und plötzlich sah er durch das Tor auf den unkrautüberwucherten Hof, auf die alte Kirchentür. Die Wirklichkeit schlüpfte wieder davon. Er selbst war nur ein Hauch, der entschwand. Die Tauben auf dem Torgitter sahen ihn nicht, weil er aus einer späteren Zeit kam. Er war eine Abwesenheit in der Gegenwart seines frisch verheirateten Vaters, der, von der Kattegat-Küste heimgekehrt, aufs Neue verlassen worden war. Oscar war fort, ohne Erklärung. An der Tür zum Souterrain hing ein Zettel: »Der Unterricht fällt bis auf Weiteres aus. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an das Midnight Ballet.« Die Seitpferde und das Brett lehnten, wie stets, an der Wand. Die Tonbänder waren noch im Büro, auch die Fotografien im Eingangsbereich, bis auf zwei (den springenden Nijinsky und Oscar mit seiner Truppe Six Eight.) Im Schrank standen Kaffee und Zucker, als käme Oscar jeden Moment zurück. Hatte es da begonnen?, fragte sich Lucas. War das der Moment, als auch Antoney sich selbst verließ?
    Ekow machte seine Drohung wahr und ging seiner Wege, sobald sie wieder in London waren. Fansa blieb bei der Baronesse, um ein unfreies Leben als Fischer zu leben. In der Flut der Abschiede ging auch Benjamin von Bord, um nun doch mit seiner Familie nach Nigeria zurückzukehren. Carla gab das Tanzen auf und wurde Ehefrau und Mutter. So blieben Antoney, Simone, die Zwillinge und The Wonder, eine labile, eine verwirrte Truppe. Bluey fanden sie nie.
    Antoneys letzte Unterhaltung mit Oscar bekam nun im Nachhinein eine ganz andere Bedeutung. Sie hatten sich verabschiedet, aber es war ein viel größerer Abschied, als Oscar zugeben wollte, und das sollte Antoney ihm stets verübeln. Am Abend vor der Europatournee hatten sie gemeinsam auf dem Hof eine Abschiedszigarette geraucht, unter einem verhangenen Himmel. Ein düsteres Rosa hatte hinter den Wolken gedämmert. Die linke Seite des Mondes war vernebelt.
    »Wohin würdest du gehen«, hatte Oscar gesagt, »wenn dir die ganze Welt offenstünde? Was wäre dein letztes Ziel?«
    »Kuba«, hatte Antoney gesagt.
    »Was zieht dich nach Kuba, außer dem Tanz?«
    »Ein paar Leute, die ich mal kannte. Wohin würdest du gehen?«
    »Ich

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