Also lieb ich ihn - Roman
Geschäftsmann – um bei diesem Bild zu bleiben – habe gerade von einer millionenschweren Prämie erfahren. Mickey war begeistert. Er fragte, wofür das Bord gedacht war, und ich erklärte ihm, für Klopapier. Dann fragte er wie so oft: »Haben Sie mich gern, Ms. Gavener?« (Da er die Endsilben verschluckt, klingt es wie
Ms. Gaahv
.) Ich bejahte, es vergingen ein paar Minuten, dann zeigte er wieder zum Bord hinauf und sagte: »Neues Regal!« Lächelnd sagte ich: »Ich weiß, Mickey.« Strahlend wies er ein weiteres Mal darauf hin: »Schau mal!«, und ich sagte: »Tu ich doch.«
Ich wohne in einem einstöckigen Lehmziegelhaus südlich der Uni, zusammen mit einer Polizistin. (Lisa ist die erste Polizeibeam
tin
, die mir je begegnet ist.) Meist ist sie sowieso bei ihrem Freund, der auch als Polizist arbeitet, aber wenn sie den Abend mal zu Hause verbringt, schauen wir zusammen fern. Lisa hat viele Angewohnheiten, die man als typisch weiblich bezeichnen würde – sie geht regelmäßig zur Maniküre oder gibt beim Shoppen locker dreihundert Dollar für Schuhe aus –, aber sie hat auch eine recht burschikose Seite und ist eifrige Anhängerin der Lobos. Als wir uns gerade erst eine Woche kannten, sagte sie: »Kein Tag ist so beschissen, dass man ihn nicht mit einer ordentlichen Margarita retten kann.« Sie ist in Albuquerque aufgewachsen und hat – was für Sie vielleicht von Interesse ist – noch nie eine Therapie gemacht.
Falls Sie den Eindruck haben, dass ich um das eigentliche Thema einen großen Bogen mache, um das Henry-Thema, dann täuschen Sie sich nicht. Inzwischen kann ich allerdings sagen, dass ich nicht mehr jeden Tag an ihn denke, ja nicht einmal mehr jede Woche. Jeden Monat schon, aber an Sie denke ich weit öfter, glauben Sie mir. |294| Wenn ich vor einer Entscheidung stehe, frage ich mich manchmal, was Sie mir raten würden, und in meiner Vorstellung befürworten Sie stets das, was mehr Lebenslust verheißt oder zu meiner Selbstbehauptung beiträgt. Wenn ich dann versuche, Ihnen die Nachteile aufzuzeigen, sagen Sie, ich solle mich erst mal entspannen; was immer es auch ist, sagen Sie, einen Versuch ist es Wert.
Was ich Ihnen noch sagen wollte: Es hat mich gefreut, Ihren Mann zu treffen, bevor ich Boston verließ, auch wenn es nur eine Zufallsbegegnung war (Sie wissen es vielleicht noch, vor dem Kino in der Brattle Street). Ich war überrascht (weder positiv noch negativ – ich hatte die Möglichkeit bloß nie in Betracht gezogen) zu sehen, dass er Afro-Amerikaner ist. Ich hatte mir immer vorgestellt, er sei entweder Arzt, wie Sie, oder aber ein sexy Handwerker, ein Tischler vielleicht – das mag an der schönen Täfelung in Ihrem Sprechzimmer liegen oder am raffinierten Parkett –, da er aber Mathematikprofessor ist, habe ich in beiden Fällen falschgelegen. Als Sie uns miteinander bekannt machten, konnten Sie nicht sagen, woher Sie und ich uns kannten, aber er wird es wohl geahnt haben. Mit seinem Lächeln schien er zu sagen:
Ich gehe davon aus, dass Sie extrem neurotisch sind, aber Ihre Neurosen sprechen keineswegs gegen Sie.
Frau Dr. Lewin, Sie sind bis heute der klügste Mensch, den ich kenne. Einmal haben Sie den Begriff
periphrastisch
verwendet – nicht aus Dünkel, sondern einfach, weil Sie ihn in diesem Zusammenhang am zutreffendsten fanden –, und ich fühlte mich ungeheuer geschmeichelt, weil Sie (zu Unrecht) davon ausgingen, dass ich wusste, was er bedeutet. Ich habe Ihnen nie erzählt, wie ich mir nach jeder Sitzung Notizen machte, gleich während der Rückfahrt. Als ich hierhergezogen bin, ist mir beim Auspacken der Ordner mit diesen Notizen wieder in die Hände gefallen. |295| Auch wenn ich sie aus narzisstischen Gründen mit Interesse gelesen habe, vermitteln sie leider einen eher oberflächlichen, flüchtigen Eindruck, dabei hatte ich mich immer nach dem Blitz der Erkenntnis gesehnt – nach einer klaren, dauerhaft und allgemeingültigen Einschätzung, deren Wahrheitsgehalt auf Anhieb zutage tritt und ewig bestehen bleibt.
Davon abgesehen: An diesem ersten Abend in Chicago, nachdem ich Allison am Flughafen abgesetzt hatte, nachdem Henry und ich alle Kartons und Möbel in meine neue Wohnung hinaufgetragen hatten, sagte ich: »Wollen wir irgendwo essen gehen?« Er antwortete: »Um die Ecke gibt es einen phantastischen Griechen, lass es mich aber erst mal mit Dana abklären.« Ich fragte: »Wer ist Dana?«
Oh, meinte Henry – hatte er mir wirklich nicht von seiner Freundin
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