Also lieb ich ihn - Roman
sah mich an, und ich hätte seinen Blick erwidern müssen, doch stattdessen sorgte ich mich darum, ob er meine Nasenhaare sehen konnte, und so neigte ich den Kopf zur Seite, der Blickkontakt brach ab. In diesen Momenten war ich nie bereit, immer hatte ich das Gefühl, zunächst unter die Dusche oder mich mental vorbereiten zu müssen, es wird also an mir gelegen haben. Ich orchestrierte mein eigenes Unglück. Zum Teil denke ich:
Aber warum hat er nicht gesehen, wie nervös ich war, er hätte mir doch die Hände an die Ohren pressen und mich beruhigen können?
Dann denke ich wiederum:
Er hatte doch immer eine Freundin.
Vielleicht ist es so wirklich zum Besten.
Manchmal denke ich an diese Rückfahrt vom Spiel der Brewers, als ich dachte, dass ich einen anderen niemals so lieben könnte, wie ich Henry liebte. In gewisser Hinsicht stimmt das auch: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich je wieder in diesen Zustand zweifelsfreier Anbetung verfalle. Henry ist vermutlich der erste und der letzte Mensch, von dem ich dachte:
Wenn ich ihn dazu bringen kann, mich zu lieben, dann wird alles andere gut
. Dass ich inzwischen nicht mehr so naiv bin, ist sowohl ein Verlust als auch ein Gewinn. Seit ich nach New Mexico gezogen bin, habe ich |318| den einen oder anderen Partner gehabt – einmal habe ich sogar jemanden im Supermarkt kennengelernt, was sonst doch immer nur in Filmen passiert –, aber verliebt bin ich nicht. Trotzdem schreibe ich Ihnen, auch wenn ich nicht verliebt bin. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass ich irgendwann vielleicht heiraten werde, doch bin ich mir dessen keineswegs sicher. Denke ich an Henry und Oliver und Mike, kommen sie mir vor wie drei verschiedene Modelle – Schablonen geradezu –, und ich frage mich, ob es in dieser Welt wirklich nur drei Modelle gibt: Der Mann, der voll und ganz bei mir wäre; der Mann, der bei mir wäre und auch wieder nicht; der Mann, der mir so nahe kommt wie möglich, doch ohne jemals mein zu werden. Ich will mir nicht anmaßen zu behaupten, dass es keine anderen Spielarten gibt, nur weil ich diese nicht aus eigener Anschauung kenne, aber ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Hoffentlich irre ich mich.
Von diesen dreien ist Mike der einzige, an den ich mit Wehmut zurückdenke. Wenn wir uns heute begegneten, würde unsere Beziehung wohl anders verlaufen, ich wüsste es aufgrund meiner Erfahrungswerte zu schätzen, dass er mich so liebevoll behandelt. Dann fällt mir aber ein, dass ich irgendwann keine Lust mehr hatte, ihn zu küssen. Wie soll man mit einem Menschen zusammenleben, den man nicht mehr küssen mag? Dessen ungeachtet, habe ich gehört, dass er verheiratet ist. Oliver ist immer noch in Boston, wir mailen uns manchmal. Ich nehme ihm nichts übel – ich hatte echt Spaß mit ihm –, doch ich bin froh, dass wir uns so bald getrennt haben.
Zu Henry habe ich keinen Kontakt mehr, seit ich aus Chicago weg bin. Ich nehme mal an, dass er und Suzy immer noch zusammen sind; wenn ich an ihn denke, stelle ich mir im Hintergrund immer Suzy vor, die einen Säugling im Arm wiegt. Am Tag meiner Abreise trafen Henry |319| und ich uns noch zum Frühstück in einem Diner, es war seine Idee, und als wir uns zum Abschied umarmten, sagte er: »Irgendwas habe ich bei dir falsch gemacht«, und ich sagte: »Kann schon sein.« Als er aber dann schon wieder so dreinsah, als ob er weinen wollte, schüttelte ich den Kopf, beinah gereizt, und sagte: »So schlimm ist es auch wieder nicht.«
Übrigens habe ich meiner Mitbewohnerin Lisa einmal von Henry erzählt, kurz nachdem ich nach Albuquerque gezogen bin. Obwohl ich bereits seit einer Viertelstunde über ihn sprach, hatte ich nach meinen Maßstäben kaum losgelegt. Sie aber warf mir einen Blick von der Seite zu – wir saßen in ihrem Auto, sie am Steuer – und sagte: »Klingt nach einem Weichei.«
Als Jason letzte Woche den Spielplatz wieder verlassen konnte, rief Lisa über Walkie-Talkie bei der Zentrale an und hielt dann inne, als ihr Partner zum Einsatzauto zurückging. Sie meinte: »Hannah, hab ich dir nicht schon immer gesagt, du sollst die Finger deiner Schüler ja nicht in die Wasserablauflöcher rammen?« Sie grinste. »Wollen wir heute Abend grillen?«
»Haben wir was zum Grillen da?«
»Auf dem Heimweg fahr ich bei Smith’s vorbei.« Lisa stieg ins Auto, ließ die Fensterscheibe herunter und sagte noch: »Nicht zu fassen, dass du diese Clogs trägst. Wie eine echte Lehrerin.«
Frau Dr. Lewin, das alles
Weitere Kostenlose Bücher