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Also lieb ich ihn - Roman

Also lieb ich ihn - Roman

Titel: Also lieb ich ihn - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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genießt. Er ist aktives Mitglied bei den Grünen und isst keine Trauben, weil sie von Gastarbeitern geerntet werden. Als sie ihn fragt: »Was ist mit den Gastarbeitern?«, gibt er Hannah eine erschöpfende Antwort; das überrascht sie, denn mit dieser Frage wollte sie eigentlich ihre Zweifel bestätigt sehen. Trotzdem weiß sie nicht, ob die Tatsache, dass sein Idealismus auf Faktenwissen beruht, das Ganze besser oder schlechter macht. Es hat was Naives. Als sie als Jugendliche noch bei ihrem Vater lebte, galt es jeden Tag aufs Neue, ja keinen Aufruhr zu verursachen, darum wird sie bei Leuten, die den Aufruhr begrüßen, die ihn lautstark herbeiführen wollen, das Gefühl nicht los, dass sie bloß ein Spiel spielen, selbst wenn es ihnen gar nicht bewusst ist.
    Mike scheint es auch mit Stolz zu erfüllen, dass eine seiner besten Freundinnen lesbisch ist, Susan, die im Nacken ein feines schwarzes Kreuztattoo trägt. Als sie eines Abends alle gemeinsam in eine Bar gehen, meint Hannah aus Mikes Stimme so etwas wie Freude herauszuhören, als er Susan zu trösten versucht, weil sie gerade ihrer Ex-Freundin über den Weg gelaufen ist.
    Doch dann fahren Hannah und Mike mit dem Bus nach Worcester zu seiner Mutter – eine Woche früher als ursprünglich geplant, wegen Hannahs Flug nach L. A. –, und es stellt sich heraus, dass seine Mutter auch lesbisch ist. Und so lautete der Subtext an jenem Abend in der Bar, als Mike mit Susan sprach, keineswegs:
Sieh doch, es macht für mich nicht den geringsten Unterschied, dass du schwul bist.
     
    Mikes Mutter wohnt in einem adretten Haus, Kolonialstil, mit weißer Aluminiumverkleidung und zwei Schlafzimmern. Hannah, Mike und seine Mutter essen auf der hinteren Veranda zu Abend, und als Hannah ihre Gastgeberin |194| mit Ms. Koslowski anspricht, antwortet sie: »Sei nicht albern, Hannah. Sag einfach Sandy.« Sie ist Buchhalterin, seit Mikes viertem Lebensjahr von seinem Vater geschieden. Sie ist klein, wie Mike, und drahtig, ihre grauen Haare sind kinnlang; wenn sie spricht, hört man einen leichten Massachusetts-Einschlag. Sie trägt ein ärmelloses Karo-Hemd, Jeans und Slipper. Ihre lethargische Bulldoge heißt Newtie, als Kurzform von Newt Gingrich. »Ist das als Kompliment gedacht oder als Beleidigung«, fragt Hannah. Mikes Mutter antwortet: »Für den Mann oder den Hund?« Etwas an diesem Schlagabtausch – bei dem Mikes Mutter sich keine Blöße gibt und Hannah zugleich Offenheit signalisiert oder zumindest vortäuscht – verrät Hannah, dass sie hier als reiches Mädchen gesehen wird. Was auch nicht ganz falsch ist, selbst wenn sie zur Zeit das Gegenteil durchmacht.
    Mike berührt Hannah oft, auch in Gegenwart seiner Mutter. Nach dem Essen setzt er sich zu ihr auf die Bank und legt den Arm um sie. Als er aufsteht, um abzuräumen – Hannahs Angebot, ihm zu helfen, lehnt er kategorisch ab –, führt er ihre linke Hand an seine Lippen. Zum Nachtisch gibt es Eis. »Hannah, möchtest du
Mint chip
oder
Butter pecan
?«, fragt Mike, als er die Behälter aus der Küche trägt, und Hannah antwortet: »Kann ich von beiden ein bisschen bekommen?«. Mikes Mutter sagt zustimmend: »Gute Entscheidung.«
    Sie erlaubt ihnen, im selben Zimmer zu schlafen, in Mikes Jugendbett; Hannah dachte zunächst, sie würde im Wohnzimmer auf dem Sofa unterkommen. Mitten in der Nacht – beide tragen Boxershorts und T-Shirts – sagt Mike: »Ziehen wir alles aus. Ich will deine Haut spüren.«
    »Und was ist mit deiner Mom?«, fragt Hannah.
    »Die schläft wie ein Stein.«
    Gleich darauf knutschen sie natürlich und verkeilen sich |195| ineinander; er liegt oben. »Du bist ganz sicher, dass sie nichts hört?«, flüstert Hannah.
    »Psst.« Mike lächelt im Dunklen. »Ich will schlafen.«
    Als er ihr dann sagt, dass er ein Kondom dabeihat, nickt sie – erstaunlich ist nur, dass es so lange gedauert hat –, und dann taucht er in sie ein. Es tut vor allem beim Einführen weh; Hannah denkt an Figs Worte, damals in der High School: »Beiß die Zähne zusammen, bis es vorbei ist.« Was danach folgt, das Eigentliche, ist weder so schmerzhaft noch so lustvoll wie gedacht. Die Stöße nimmt sie als eine Art saftige Reibung wahr; angeblich drängen sich die Menschen allein deswegen am Samstagabend in Bars zusammen, deswegen heiraten sie und töten sie und ziehen sie in den Krieg, was Hannah in Gedanken nur mit einem
Echt? Mehr ist nicht dran?
quittieren kann. So gesehen, sind Menschen –
wir
alle, denkt sie –

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