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Also lieb ich ihn - Roman

Also lieb ich ihn - Roman

Titel: Also lieb ich ihn - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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Temperatur so recht, Mrs. Dawes?«, fragt er. »Gleich wird es wärmer.«
    »Mir kann es nie warm genug sein«, sagt Mrs. Dawes. »Selbst bei 35 Grad nicht.«
    »Umso schöner, dass Sie zur Hochzeit kommen konnten«, erwidert Frank. »Caitlin lag es sehr am Herzen.«
    Hannah hat für Mrs. Dawes nie besonders viel übrig gehabt, aber die Bedeutung, die ihre Mutter deren Anwesenheit beimaß, ist sicher nicht zu leugnen: die ältere Generation erteilt diesem Bündnis ihren Segen.
    »Beachtlich, wie Caitlin ihre Figur gehalten hat«, sagt Mrs. Dawes. Sie dreht den Kopf leicht nach links. »Ihr |238| Mädchen müsst wahrscheinlich auf jedes Gramm achten, aber eure Mutter hatte schon immer diese schlanke Konstitution. Ich täusche mich wohl nicht, wenn ich sage, dass mir Allison etwas schwerfälliger vorkam als beim letzten Mal.«
    »Allison ist schwanger«, erklärt Hannah. Frank entfährt ein Schnauben, vielleicht muss er ein Lachen unterdrücken – dann stünde er auf Hannahs Seite –, vielleicht hat er aber auch bloß Staub eingeatmet. »Der Geburtstermin ist für Mai berechnet«, fügt sie hinzu.
    »Hoffentlich bleiben ihr Komplikationen erspart. Bei Spätgebärenden ist die Gefahr ja deutlich höher.«
    »Sie ist erst neunundzwanzig.«
    Mrs. Dawes gluckst auf. »Das ist gar nicht mehr so jung, Hannah. In ihrem Alter hatte ich schon vier Babys zur Welt gebracht. Aber ihr jungen Frauen wollt heutzutage ja unbedingt Karriere machen.«
    Gelassen, ohne einen Anflug von Erregung denkt Hannah:
Halt doch die Klappe
. In gewisser Weise kommt es ihr wie eine Sünde vor, eine alte Dame von zweiundachtzig Jahren nicht zu mögen. Mrs. Dawes’ gebrechliche Erscheinung trägt zu Hannahs Zurückhaltung bei. Doch sobald sie länger als eine Minute mit ihr spricht, weiß sie gleich wieder, woher ihre Antipathie rührt: Mrs. Dawes hat eine so herablassende Art, sich zu beklagen und andere zu kritisieren, als wollte sie demonstrieren, wie wohlwollend sie die Schwächen Dritter toleriert. Auch wenn sie Hannah nicht mit Fragen bestürmt oder von sich aus viel redet, erwartet sie merklich, dass man ihr Aufmerksamkeit schenkt und eine Unterhaltung führt, deshalb ist es so anstrengend, mit ihr zu sprechen. Hannah weiß sehr wohl, dass andere (Allison beispielsweise) es ungerecht fänden, eine Greisin nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen wie deutlich jüngere Menschen, und so hat sie ihre Abneigung |239| gegen Mrs. Dawes stets verschwiegen. Die Dame ist ja nicht einmal zänkisch oder griesgrämig genug, um als seniles Ekel in Verruf zu geraten.
    »Haben Sie eigentlich Söhne oder Töchter, Mrs. Dawes?«, fragt Frank.
    »Je zwei – und sie leben alle in Kalifornien, alle vier. Ist das zu fassen?«
    Ja
, denkt Hannah,
und wie
. Jetzt klinkt sie sich aus und überlässt es Frank, das mühsame Gespräch in Gang zu halten, auch wenn ihre Mutter vermutlich im Sinn hatte, dass Hannah Frank nicht so sehr den Weg weist als ihn vielmehr von der Bürde entlastet, Mrs. Dawes zu unterhalten.
    Mrs. Dawes wohnt etwa fünfzehn Minuten von Hannahs Mutter entfernt, in einer bewaldeten Gegend, wo die Häuser nur selten von der Straße aus zu sehen sind. Dazu muss man schon in eine Einfahrt biegen, die ein gutes Stück zwischen Bäumen entlangführt, bevor am Ende ein Haus erscheint – natürlich ein großes Haus, allerdings noch bescheiden und altmodisch mit Schindeln gedeckt, im Gegensatz zu den protzigen Neubauten. Mrs. Dawes erzählt Frank gerade, dass ihr verstorbener Gatte – den sie als Dr. Dawes bezeichnet – mit Vorliebe Vögel beobachtete, als sie sich jäh unterbricht, um Frank nach links in ihre Einfahrt zu dirigieren. Hannah kann sich nur sehr vage daran erinnern, dass sie vor Jahren einmal hier war, zur Geburtsfeier eines der kalifornischen Enkel von Mrs. Dawes; zum Programm gehörte auch die Einlage eines Zauberkünstlers. Obwohl Hannah damals kaum älter war als sechs oder sieben, weiß sie noch, wie seltsam sie es fand, den Geburtstag eines Menschen zu feiern, den man gar nicht kennt.
    Das Haus ist in völlige Dunkelheit getaucht. Vor der Hochzeit haben Allison und Sam Mrs. Dawes abgeholt, |240| und Hannah denkt verärgert, dass ihre Schwester wenigstens ein Licht hätte brennen lassen können. Frank schlägt vor, dass Hannah Mrs. Dawes beim Aussteigen behilflich ist; wenn sie erst mal auf dem gekachelten Weg steht, der zur Haustür führt, wird er ein kurzes Stück zurückfahren und den Weg mit den Autoscheinwerfern beleuchten.

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