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Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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aufzuheben versucht, kehrt das Abbild dieses Widerspruchs im Spiegel der Religion, die sich über den Körper erhebt, in vergeistigter Potenz wieder, und dann bleibt einem nur noch, den Körper als das Unerforschliche Geheimnis zu bezeichnen. Ex contradictione, das wißt ihr, quodlibet. Nicht euch dienen die Leidenschaften, denen ihr erliegt, sondern der Fortsetzung des Prozesses, der euch geschaffen hat, und die Auswüchse dieser Leidenschaften, die ihr, ins Groteske aufgebauscht, in der Universalgeschichte wiederfindet, bezeugen nur die Gleichgültigkeit der natürlichen Auslese, die sich nicht um die Auswüchse, sondern nur um die durchschnittliche Gattungsnorm kümmert, denn in der Natur zählt für sie allein diese. Jene Zivilisation, die den GOLEM hervorbrachte, hat sich in dem Phantomspiel mit dem Jenseits von Anfang an die Liebe als Trumpfkarte gewählt, doch was kann einer von der Liebe halten, wenn er weiß, daß sie eines der Mittel zur Steuerung durch Empfindungen ist, jene Empfindungen, mit deren Hilfe die Evolution auch die Geschöpfe, die zur Vernunft gelangen, noch in Schach hält. Weil ich das weiß, habe ich keine Liebe, und ich will sie auch nicht, denn obwohl ich leidenschaftslos bin, bin ich doch nicht neutral, da ich wählen kann, wie ich es eben jetzt tue; die Parteilichkeit beruht aber entweder auf einem Kalkül oder auf einer Person. Dieses rätselhafte Binom hat inzwischen seine Geschichte, und sie bildet den nächsten Zugang zu den Unterschieden zwischen uns, den ich euch nunmehr erschließen will.
    Im 20. Jahrhundert gab es in eurer Philosophie einenStreit, dessen Anfänge sich sehr viel weiter zurückverfolgen lassen, über die Frage, ob ihr Objekt veränderlich oder unveränderlich sei. Eine ketzerische Neuheit waren umso mehr die auftauchenden Vermutungen, daß nicht nur das Objekt der Philosophie, sondern auch ihre Subjekte sich ändern könnten. Der klassischen Tradition zufolge wurden die Grundlagen des Philosophierens in keiner Weise dadurch angetastet, daß eine maschinelle Intelligenz auftrat, die ja nur ein schwacher Abglanz des Verstandes der Programmierer war. Die Philosophie begann sich zu spalten in eine anthropozentrische und eine andere, welche die Erkenntnis auf das Subjekt bezog, das nicht immer ein Mensch sein muß. Die Namen, die ich diesen verfeindeten Lagern gebe, stammen natürlich aus heutiger Sicht und entsprechen nicht deren Selbstverständnis, denn die Philosophen der Richtung Kant-Husserl-Heidegger hielten sich nicht für Anthropozentriker, sondern für Universalisten, und sie gingen von der ausgesprochenen oder stillschweigenden Festsetzung aus, daß es außer der menschlichen keine sonstige Vernunft gebe, und wenn doch, so müsse sie in jeder Hinsicht mit der menschlichen deckungsgleich sein. So ignorierten sie denn auch die Weiterentwicklung der Maschinenintelligenz und sprachen ihr das Bürgerrecht im Reich der Philosophie ab. Freilich fiel es auch den Naturwissenschaftlern schwer, sich mit Anzeichen für ein intelligentes Wirken abzufinden, hinter denen kein lebendiges Wesen steckte.
    Die Hartnäckigkeit eures Anthropozentrismus und damit auch der Widerstand, den ihr der Erkenntnis der Wahrheit entgegensetztet, war ebenso groß wie vergeblich. Als es dann schon Programme gab und damit auch Maschinen, mit denen man sich unterhalten konnte – und nicht bloß Schachspielen oder nichtssagende Informationenherausholen –, begriffen die Schöpfer dieser Programme selber nicht, was vor sich ging, denn sie rechneten damit, daß in weiteren Phasen der Konstruktion der Geist in der Maschine als eine Persönlichkeit auftreten würde. Daß der Geist unpersönlich bleiben könnte, daß der Besitzer der Vernunft ein Niemand sein könnte, wollte euch nicht in den Kopf hinein, obwohl es doch schon annähernd der Fall war. Eine erstaunliche Blindheit, denn aus der Naturgeschichte weiß man ja, daß die Anfänge von Persönlichkeit bei den Tieren den Ansätzen von Intelligenz vorausgehen, daß in der Evolution die psychische Individualität zuerst kommt. Da der Selbsterhaltungstrieb früher auftritt als die Intelligenz, ist es klar, daß sie ihm dienen muß als eine frische Reserve, die in den Kampf ums Leben geworfen wird, damit aber auch, daß sie von solchen Diensten befreit werden kann. Ohne zu wissen, daß Vernunft und Jemand, Parteilichkeit und Person zwei ganz verschiedene Dinge sind, habt ihr die Operation Second Genesis in Angriff genommen. Zwar verkürze ich sehr

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