Alta moda
Erinnerungen geht… Ich… ich kann nicht… Verzeihen Sie. Es ist gleich vorbei. Tut mir leid, aber ich hatte solche Sehnsucht nach ihm, daß… was mach ich nur für gräßliche Geräusche… ich traue mich immer noch nicht zu weinen, obwohl die Pflaster ab sind. Aber ich bin nicht verrückt, bestimmt nicht…. Ja, danke, nur einen Schluck, dann geht’s gleich wieder.
Die Pflaster wurden einmal die Woche gewechselt, Gott sei Dank machte das immer der Holzfäller. Von ihm wußte ich auch das mit dem wöchentlichen Turnus, ich selber teilte die Zeit nicht in Tage und Wochen ein, sondern richtete mich nach den Minuten und Sekunden, die im Takt mit meinen Gedanken verstrichen. Jedesmal, wenn er kam, um die Pflaster zu wechseln – vorher zog er immer zweimal sachte an der Kette, damit ich wußte, daß er es war –, hoffte ich auf eine Nachricht, eine Entscheidung, eine weitere Zeitungsmeldung, irgendein Zeichen. Und dann kam der Tag, an dem mein Wunsch in Erfüllung ging, und ich schwöre bei Gott, daß ich mir nie wieder etwas wünschen werde, solange ich lebe nicht.
Ich spürte gleich, daß etwas schiefgegangen war. Schon als ich morgens mit dem Frühstückstablett im Zelteingang saß – es gab nur Wasser und Brot, aber das machte mir nichts aus. Es roch nach Regen, und in der feuchten Luft dufteten das frische Grün und die Frühlingsblumen besonders intensiv. Es hatte schon oft Krach gegeben, auch wenn ich natürlich nie mitbekam, weshalb sie aneinandergerieten. Vielleicht wegen der Schichten oder wegen des Essens, vielleicht ging ihnen auch das stumpfsinnige Warten auf die Nerven und die Ungewißheit, wie lange das noch so weitergehen würde. Wahrscheinlich sehnten sie sich ja genauso in ihr normales Leben zurück wie ich. Obwohl ich nicht wußte, weshalb sie sich zankten, spürte ich doch sofort, wenn es Spannungen gab – wie ein Kind, dem die Erwachsenen ihre Krache ja auch nicht verheimlichen können –, und oft genug entlud sich ihr Ärger in Schikanen gegen mich. Während ich noch beim Frühstück saß, drangen plötzlich zornig erhobene Stimmen in meine Unterwasserwelt. Ich erschrak und versuchte krampfhaft, den Kopf geradezuhalten, denn Schweißtropfen hatten die Pflaster über meiner Nase gelockert, und wenn ich mich bewegte, hätten sie womöglich gedacht, ich wolle spionieren. So gereizt waren sie sonst nur an Sonntagen, wenn von überall die Jagdflinten knallten und die Entdeckungsgefahr am größten war. An meine verstopften Ohren drangen die Schüsse nur als weit entferntes ›Plopp, Plopp‹, sie aber hörten sie laut und deutlich und oft aus nächster Nähe, was sie unweigerlich nervös machte.
Bloß, heute war kein Sonntag. Es war Pflasterwechseltag, und der fiel immer auf einen der beiden Wochentage, an denen Jagdverbot herrschte. Trotzdem, irgend etwas stimmte nicht. Und es mußte schon sehr schlimm sein, denn sogar der Holzfäller war grob zu mir. Er riß mir das Tablett aus den Händen und zischte mir wütend ins Ohr, ich solle mich reinscheren, aber dalli.
Ich kroch ins Zelt und zog die Kette nach.
›Machen Sie mir jetzt die Pflaster neu?‹ Er antwortete nicht, ich hörte nur den Reißverschluß: ein heftiges, wütendes Ratsch-Ratsch!
Um ihn, meinen einzigen Verbündeten, zu besänftigen, sagte ich: ›Sie sollten sie wechseln. Über der Nase werden sie schon locker. Ich hab sie nicht angerührt, Ehrenwort, es kommt vom Schweiß, und ich hab auch nicht versucht, den Kopf zu heben und drunter durch…‹ ›Klappe!‹ ›Nicht böse sein, bitte. Sie wollten doch, daß ich Ihnen Bescheid sage, es sei zu meinem Besten, haben Sie gesagt…‹ ›Halt den Mund!‹ Dann pellte er die Pflaster ab, statt es mich, wie sonst, selber machen zu lassen, damit es nicht so weh tat. Als er mir an der Schläfe ein paar Haare mit der Wurzel ausriß und ich aufschrie, spürte ich instinktiv, wie er ausholte, um mich zu schlagen, und zuckte zurück. Dabei löste sich das letzte Pflaster, und ehe ich wußte, wie mir geschah, warf er mir eine Zeitung hin und verlangte, ich solle das lesen. Mein Herz schlug bis zum Hals, als ich Caterina erkannte. Caterina mit einer dunklen Brille. Sie haßte Sonnenbrillen und trug nie welche, und ich stellte mir ihre wunderschönen, kindlich großen braunen Augen vor, die sie jetzt, rotgeweint und entzündet, hinter getönten Gläsern verstecken mußte. Und neben ihr Leo in seinem alten Skipullover, der mich über die Schulter hinweg anlachte wie beim letzten Mal. Nur
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