Alta moda
in die Hose gegangen.«
Dann hatte sich der Boss irgendwann aber doch mit der neuen Situation abgefunden und vermutlich beschlossen, ein paar tausend Lire in mich und mein Leben zu investieren. Oder vielmehr in unser aller Leben, denn meine Wärter aßen und tranken das gleiche wie ich, und das war während dieser ganzen ersten Phase nichts als Brot, Käse, Wein und Wasser. Dann, eines Vormittags, wehten köstliche Düfte in mein Zelt, und als der Reißverschluß aufging und ich mich am Eingang zeigte, da stand ein Teller mit einem warmen Gericht auf meinem Tablett. Spaghetti mit Tomatensauce! Was ich zuvor gerochen hatte, das war in Olivenöl gedünsteter Knoblauch für die Sauce gewesen. Der Holzfäller gab mir einen Löffel in die rechte Hand.
»Ich hab dir die Nudeln kleingeschnitten. Bis du sie mit der Gabel aufgewickelt hättest, wären sie eiskalt gewesen. Die Flasche steht rechts von dir.«
»Danke.« Spaghetti und Rotwein! Viel konnte ich nicht davon essen, auch wenn die ersten Düfte so was wie Appetit geweckt und den Schreckenskloß, der mir die Kehle verstopfte, gelöst hatten. Inzwischen wollte ich nur noch leben, selbst wenn ich so leben mußte wie jetzt. Ich machte verzweifelte Anstrengungen, alles aufzuessen, um auf die Weise meine Dankbarkeit zu zeigen. Wer weiß, ob sie sich sonst noch einmal soviel Mühe machen würden, und ich brauchte doch nahrhafte Kost, um bei Kräften zu bleiben. Es schmeckte wunderbar, aber bald schmerzte mein Kiefer, die Ohren taten höllisch weh, und der geschrumpfte Magen rebellierte.
»Sie sind ein großartiger Koch«, schwärmte ich dem Holzfäller vor, damit er mir verzieh, daß ich nicht alles aufaß; damit er nicht verächtlich über das reiche Luder herzog. »Der Duft dieser Tomatensauce, der hat mir zum erstenmal, seit wir hier sind, Appetit gemacht.« Ob er mich verstanden hatte? Er verhöhnte mich jedenfalls nicht. Und er war auch nicht böse, als ich ihm erklärte, mein Magen sei geschrumpft, und ich müsse mich erst wieder an normale Portionen gewöhnen.
Als ich das Tablett neben mich stellte und auf den Befehl wartete, ins Zelt zurückzukriechen, da schlug mir plötzlich Kaffeeduft entgegen. Das Aroma scharf gerösteten, frischen Kaffees, das sich stark und verlockend mit der würzigen Luft mischte! Unversehens packte mich eine so schwindelerregende Sehnsucht nach den Vormittagen daheim, nach dem Morgentelegramm im Radio, nach Caterinas weichen, zerzausten Haarsträhnen, ihrem zerknitterten weißseidenen Negligé, daß ich völlig überwältigt zum Holzfäller sagte: »Trinken Sie den nur. Mir reicht allein schon der Duft.«
Es war mein Ernst, ich war wirklich ganz zufrieden so, aber er gab barsch zurück: »Der Kaffee reicht für uns alle. Wenn er einmal gemacht ist, ist er gemacht.«
Er hatte mich nicht verstanden. Wie sollte er auch? Er gab mir die heiße Tasse in die Hand, und ich trank. Dann legte er mir etwas anderes zwischen die Finger. Einen Apfel! Mein Körper brauchte Vitamine, gewiß, aber ich brachte es kaum fertig, hineinzubeißen. Ich beschnupperte ihn, drückte die glatte, kühle Schale gegen meine Wange, stellte mir die Farbe vor… ich war überzeugt, es sei ein Granny Smith. Ich hielt die Kostbarkeit zwischen den Händen, bis sie sich erwärmte, und dabei träumte ich mich zurück in meine Studienzeit im Norden des Staates New York, wo man im Herbst durch feuchtes Laub watet und wo die Farmer mit ihren Karren an der Landstraße stehen, um Berge von knackigen, saftig roten Äpfeln feilzubieten und Ballonflaschen mit Apfelwein und Apfelessig. Wie naiv ich damals gewesen war, wie ahnungslos, was die Schattenseiten des Lebens, was Unrecht und Gewalt betraf. Ich versuchte mir vorzustellen, was ich damals empfunden hätte, wenn mir ein Zeitungsbericht über eine Frau untergekommen wäre, die im fernen Italien von Banditen gekidnappt und an einen Baum angekettet gefangengehalten wurde. Natürlich gar nichts. Es wäre mir genauso unwirklich vorgekommen wie jetzt, in der Rückschau, jene idyllische Welt meiner Studienzeit. Sie mutete mich an wie ein Traum, wie etwas, das ich nur aus der Zuschauerperspektive kannte, so wie wir uns in unseren Träumen ja überhaupt eher als Zuschauer denn als Protagonisten empfinden. Falls ich je in die normale Welt zurückkehren sollte, würde ich lernen müssen, die beiden auseinanderklaffenden Hälften wieder zusammenzufügen, mein Ich vor und das nach diesem Erlebnis. Bis dahin aber galt es, sich aufs
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