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Alta moda

Alta moda

Titel: Alta moda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Papierservietten und jetzt sogar Pasta. Auch das Rätsel, wieso sie einerseits so streng auf Hygiene achteten, mir andererseits aber nie erlaubten, mich richtig zu waschen, löste sich jetzt wie von selbst. Wahrscheinlich gab es einfach kein Wasser in erreichbarer Nähe. Ein Gebiet, das von einem Bach oder Flußlauf gekreuzt wurde, hätte die Wildschweine angezogen und mit ihnen die Jäger. Bis dahin hatte mich nur mein eigenes Unglück beschäftigt, doch fortan hatte ich eine klare Vorstellung von ihrem mißlichen Los und schenkte dem mehr Beachtung. Was an meiner persönlichen Einstellung zu ihnen nichts änderte. Ich hatte nach wie vor Angst vor dem Metzger, spürte immer noch den Haß, den er gegen mich hatte, und seine brutale Veranlagung, die er nur in Gegenwart des Holzfällers zügelte. Der kleine Krallenfingrige, den ich den Fuchs nannte, versuchte mich immer wieder mit seinen Streichen zu foppen, aber ich war entschlossen, nicht darauf zu reagieren. Sein Geruch war mir zuwider, weshalb ich es besonders unangenehm fand, wenn er mir das Essen brachte. Meine übertriebene Dankbarkeit für gelegentliche Abwechslung in der Kost reizte zwangsläufig seinen Hang zu gemeinen Spielen. Eines Abends, als ich im Zelteingang saß und auf das Essen wartete, kam er mir ganz nahe und nahm meine rechte Hand.
    »Hier kommt ein Leckerbissen, ganz was Besonderes.«
    Ich war sehr mißtrauisch, denn er hatte so was schon mal gemacht, und der Holzfäller hatte mir das Essen aus der Hand geschlagen, bevor ich es zum Mund führen konnte. Später sagte er mir, es sei ein eingewickeltes, völlig verschimmeltes Stück Weichkäse gewesen. Diesmal schob mir der Fuchs etwas Warmes zwischen die Finger und führte meine Hand mit Gewalt zum Mund. Sein verzerrtes Kichern hallte in meinem verstopften Ohr nach, als ich mit einem erstickten Schrei vor seinem Penis zurückschauderte.
    Und dann drang sein Flüstern durch das Meeresrauschen in meinem Kopf: »Was ist? Machst du’s nicht gern mit dem Mund? Soll ich lieber dich lecken?«
    Es war einer der seltenen Tage ohne den Holzfäller, und beim Gedanken an das, was der Fuchs und der Metzger mir antun könnten, brach mir der kalte Schweiß aus. Aber ich glaube, der Holzfäller hatte das Sagen. Er haftete dem Boss für mein Wohlergehen, und die anderen respektierten das auch, wenn er nicht da war. Mehr als einmal hatte er mich daran erinnert, daß ich ihm dankbar sein müsse für die anständige Behandlung, und das war ich auch. Ich würde ihn nicht wiedererkennen, das wissen Sie doch, nicht wahr? Nicht einmal seine Stimme. So gesehen hatten die furchtbaren Schmerzen, die ich erdulden mußte, auch ihr Gutes.
    Als der Holzfäller mir am Abend den Fuß ankettete und sich über mich beugte, fragte ich: »Machen Sie mir jetzt noch die Augen?«
    »Später.«
    Was ich eigentlich wissen wollte, war, ob er mir die versprochene Zeitung mit einem Artikel über mich mitgebracht hatte, aber ich traute mich nicht, direkt nachzufragen, aus Angst, ihm lästig zu fallen. Er ging und nahm meine Stiefel mit, und ich kroch ins Zelt und machte mich fertig für die Nacht. Da es überhaupt nicht mehr kalt war, legte ich mich auf den Schlafsack. Wenn ich die Arme im Nacken verschränkte und den Kopf so in der Schwebe hielt, daß kein Druck auf den gewaltigen Pfropfen in meinen Ohren lastete, dann – so hatte ich herausgefunden – reduzierte sich der Schmerz auf ein erträgliches Maß. Aber nachdem ich ein paar Nächte in dieser Stellung geschlafen hatte, bekam ich entsetzliche Schulterkrämpfe, weshalb ich neuerdings eine Klopapierrolle als Nackenstütze benutzte. Inzwischen freute ich mich auf diesen Moment der Einkehr nach den abendlichen Zurüstungen, wie man sich vielleicht normalerweise darauf freut, einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher zu verbringen. Mein Unterhaltungsprogramm bestritten die eigenen Gedanken und Erinnerungen. Und ich empfand dieses Innehalten fast wie eine Art Luxus nach dem jahrelangen Ringen um den Erhalt des Hauses, dem ständigen Jonglieren mit dem Geld, das nie reichte, und später dann, als wir es endlich geschafft hatten, dem nicht minder harten Erfolgsdruck. So ein Gefühl wie jetzt hatte ich bisher nur einmal – in meiner Kindheit – kennengelernt. Ich hatte die Masern und mußte das Bett hüten. Dabei erfuhr ich zum erstenmal dieses Gefühl der Absonderung, das sich einstellt, wenn man still im Bett liegt und verfolgt, wie draußen das Leben ohne einen weitergeht: Man erkennt

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