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Alta moda

Alta moda

Titel: Alta moda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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die Stimmen, die einander auf dem Schulweg grüßen, hört Autos anspringen, das Radio und den Staubsauger unten im Haus. Ich hatte ein Malbuch und Buntstifte, ein Puzzlespiel mit Pferden im Schnee und ein nagelneues Buch (sogar in meinem muffigen Zelt konnte ich noch den köstlichen Geruch des Hochglanzumschlags und der frischen Druckerschwärze heraufbeschwören), ein Buch, das ich nicht lesen konnte, weil meine Augen so sehr schmerzten. Aber schon in diesem zarten Alter war ich dankbar für den Luxus, so viele Stunden ganz für mich allein zu haben. Ich kann mir vorstellen, daß der Vergleich zwischen dem kranken Kind und der in einem engen Zelt angeketteten Gefangenen Sie befremden muß, aber war ich denn – von der Kette abgesehen – freier damals, als ich mit Masern im Bett lag? Der Holzfäller war gewissermaßen meine Krankenschwester; er war für mich verantwortlich und versorgte mich, mal freundlich, mal ungehalten. Anfangs versuchte ich noch, gegen meine wachsende Abhängigkeit von ihm anzukämpfen, aber irgendwann streckte ich die Waffen und ließ den Dingen ihren Lauf. Das meiste, was sich natürlich entwickelt, geschieht aus gutem Grund, und ich glaube, wenn ich mich nicht gebeugt, wenn ich mir das Vertrauen zu ihm versagt hätte, dann wäre ich in diesem Zelt gestorben. Vordergründig vielleicht an Darmverschluß, an einer Blutvergiftung, hervorgerufen durch die Kettenwunde, was auch immer. In Wahrheit aber daran, daß ich ohne diesen einen menschlichen Kontakt nicht hätte durchhalten können. Entweder dieses Abhängigkeitsverhältnis oder der Tod, und ich wollte leben.
    Ich muß all meine Kindheitserinnerungen, die guten wie die schlechten, noch einmal durchlebt haben, und diese Reisen in die Vergangenheit fesselten mich so sehr, daß die Mahlzeiten oft unwillkommene Unterbrechungen waren, besonders in den Etappen, wo es nur trocken Brot und Käse gab, denn da ich ohnehin keinen Appetit hatte, war mir das Essen nichts weiter als eine mechanisch erfüllte Pflichtübung. Sehr viel lieber frönte ich meinen geistigen Spaziergängen. Leo ist mir darin, glaube ich, sehr ähnlich. Schon als ganz kleiner Junge hat er sich oft und lange in seine Gedankenwelt zurückgezogen. Meist war er dabei still mit irgendeiner Zeichnung beschäftigt, aber manchmal hörte ich ihn auch eine Melodie vor sich hin summen oder leise Selbstgespräche halten. Ich glaube, er führte ein zweites, sehr intensives Leben in seiner Phantasie. Abends las ich ihm vor, auf englisch, weil in der Schule nur italienisch gesprochen wurde, und ich fand, er solle auch sein literarisches Erbteil mütterlicherseits kennenlernen. Also lasen wir Tom Sawyer, Nicholas Nickleby, Alice im Wunderland. Aber auch die Odyssee, die Ilias und Auszüge aus der Bibel in englischer Übersetzung. Sie waren schon als Kinder ganz verschieden, er und Caterina. Er konnte sich stundenlang in seinem Phantasiereich verlieren, aber Caterina brauchte greifbare Gesellschaft. Sie wollte immer jemanden zum Reden haben, und kleine Geschenke liebte sie über alles, zierliche Püppchen und Porzellantiere in Miniaturformat. Sie hatte eine stattliche Sammlung. Ich hätte gern auch mit ihr gelesen, aber sie wollte sich nur von ihrem Vater vorlesen lassen, hörte also ausschließlich Italienisch. Sie wissen ja, wie das ist zwischen Vätern und Töchtern: Ich durfte nicht einmal dabeisein, wenn die beiden zusammen waren! Als er dann fortging, ertrug sie es nicht, auch nur für eine Minute allein zu sein. Und wenn ich noch soviel Arbeit hatte, ich mußte bei ihr sitzen, während sie Hausaufgaben machte, obwohl sie immer böse wurde, wenn ich ihr helfen wollte. ›Ich kann das selber!‹ schrie sie mich an, ›aber du mußt bei mir bleiben!‹ Arme Caterina… Wir machen so vieles falsch bei der Erziehung unserer Kinder, andererseits – wer könnte, selbst im nachhinein, sagen, was richtig ist? Sie brauchte ihren Vater, aber der war… wie er eben war. Für die Kinder hatte er immer herzlich wenig Zeit, und dann, als wir geschieden wurden… Ich weiß bis jetzt nicht, wie es hätte anders gehen können. Trotzdem gab ich mir die Schuld, ja ging sogar so weit, mir Vorwürfe zu machen, daß ich Ugo überhaupt geheiratet und meinen Kindern damit einen labilen Vater zugemutet hatte und ein Leben in ungesicherten Verhältnissen. Törichter ging’s wohl nicht, denn ohne Ugo wären die beiden ja nicht auf der Welt – jedenfalls nicht als die, die sie sind. Außerdem war ich leider

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