Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alta moda

Alta moda

Titel: Alta moda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
Vom Netzwerk:
Überleben zu konzentrieren, und das hieß auf kleine Schritte, kleine Siege – wie meinen Apfel. Ich verzehrte ihn ganz, bis auf den Stiel, den ich abdrehte. Aber den Butzen aß ich mit, und ich lutschte die Kerne, die nach Mandeln schmeckten. Ich hatte das Bedürfnis, ihn aufzuessen, aber ein bißchen Theater war auch dabei. Wieder ging es mir darum, nicht das reiche Luder zu sein, das einen Apfel nur mit silbernem Obstbesteck geschält und gevierteilt verzehren kann, womöglich noch im Ambiente eines Nobelrestaurants. Tatsächlich hatte ich seit meiner Heirat Äpfel nur noch so gegessen, aber in jenen sonnigen Herbsten meiner Studentenzeit, da bissen wir herzhaft wie Kinder in die knackigen Früchte und ließen den Saft ungeniert vom Kinn tropfen. Jetzt machte ich es wieder genauso, auch wenn ich, statt zu beißen, nur knabbern konnte, weil jede größere Bewegung der Kiefergelenke so furchtbar weh tat. Der Holzfäller beobachtete mich, und er ließ sich von meinem Theater mit dem Butzen nicht täuschen, das spürte ich wohl.
    »Du ißt den Butzen doch sonst bestimmt nicht mit, warum dann jetzt?«
    »Weil er so gut ist, und die Kerne, die schmecken nach Mandeln. Als Kind habe ich Äpfel immer so gegessen und später, als Studentin, auch. Ich lebte damals in einer Gegend, wo es herrliche Äpfel gab.«
    Als der Apfel verzehrt war, blieb ich, weil mich noch niemand ins Zelt zurückgeschickt hatte, im Freien sitzen und hing weiter den Gedanken an meine Studienzeit nach. Ich versuchte, mich an die Namen meiner Kommilitonen zu erinnern, doch es wollten mir nur zwei oder drei einfallen. Ich hatte den Kontakt zu ihnen verloren, wie – abgesehen von meiner neuen Rolle als Geschäftsfrau – den zu Amerika überhaupt. Diese gewaltsame Verschleppung war beileibe nicht die einzige brutale Zäsur in meinem Leben. Davor lagen die Trennung von meiner Heimat, später die Scheidung… Wir lassen so etwas einfach geschehen, versuchen nicht einmal, die Brüche zu kitten. Vielleicht sollte ich mich bemühen, mein Leben generell wieder auf einen Nenner zu bringen, vielleicht hatte ich mir das unbewußt schon lange gewünscht und wollte aus dem Grund unbedingt auch in New York ausstellen. Ein Gedanke, den ich vorerst beiseite schob, um ihn später, während der langen Reflexionszeit im Zelt, näher zu beleuchten. Solange ich im Freien war, wollte ich die Erinnerung an meine Studienzeit genießen. Auf angestrengtes Arbeiten konnte ich mich kaum besinnen, aber irgendwann muß ich wohl auch gelernt haben, da ich schließlich meine Prüfungen bestand. Das war freilich bei uns auch nicht schwer gewesen, kein Vergleich mit Italien. Ich bekam ordentlich Gewissensbisse über der Frage, ob es wohl falsch gewesen sei, Caterina zu einem Literaturstudium zu ermuntern. In Florenz ist das nicht leicht. Die philosophische Fakultät ist überfüllt, es herrschen chaotische Zustände, und die Lehrmeinungen sind völlig verzopft. Von fünf möglichen Prüfungen hat sie in anderthalb Jahren erst eine einzige abgelegt, und auch da ist sie nur mit knapper Not durchgerutscht. Insofern war es wohl eine falsche Entscheidung, übereilt getroffen, um Caterina von der Enttäuschung mit der Ballettschule abzulenken.
    Ein Klaps auf die Schulter. Zurück ins Zelt.
    »Danke für den Apfel. Nicht nur, weil er so köstlich geschmeckt hat, nein, wenn ich frisches Obst oder Gemüse bekommen kann, dann bleibe ich gesund. Und das ist doch für Sie genauso wichtig wie für mich, meinen Sie nicht auch?«
    »Das reicht. Zieh die Stiefel aus.«
    Die tägliche Routine – morgens waschen, Notdurft verrichten, essen, zurück ins Zelt, ein bißchen Muskeltraining, Gedankenspaziergang, essen, lange Reflexionsphase im Zelt, dann die Kette ans Handgelenk, in den Schlafsack und Nachtruhe – der Ablauf blieb immer gleich. Und ich wollte auch keine Veränderungen, keine außer meiner Befreiung. Bis dahin aber klammerte ich mich an diese Routine, die mir alles war, Halt und Zivilisationsersatz. Morgens begrüßte ich den Holzfäller, und jeden Abend sagte ich ihm gute Nacht, was er fast immer erwiderte. Nur gelegentlich war er einmal kurz angebunden, und dann hatte er entweder Streit mit einem der beiden anderen oder Ärger mit dem geheimnisvollen Boss. Ich glaube, als ich den Apfel aß, dachte ich zum erstenmal darüber nach, wie schwierig es sein müsse, ein so entlegenes Versteck mit Vorräten und Lebensmitteln zu versorgen. Und ich war dankbar für Mineralwasser,

Weitere Kostenlose Bücher