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Alta moda

Alta moda

Titel: Alta moda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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seines Schwarms auf der Haut. Als ich das Bild sah, mußte ich weinen, was ich allerdings auch ohne die Pflaster gewissermaßen nur innerlich tat, so sehr hatte ich mich daran gewöhnt, die Tränen zurückzuhalten. Aber ich war dermaßen aufgelöst, daß ich, als er mir die Blätter endlich wieder wegnahm und einsteckte, noch kein Wort gelesen hatte. Ich konnte es nicht, die Erregung war zu stark, zu groß die Schockwirkung der Bilder, die mich jäh in die Realität zurückkatapultierten. Meine wunder-, wunderschönen Kinder!
    Nicht auszudenken, wieviel von meiner stillen Einkehrzeit ich täglich darauf verwandt hatte, abzuschätzen, in welchem Stadium der Entführung ich mich mittlerweile befinden mochte. Ich malte mir Patricks Ankunft aus, erwog die Lösegeldforderung – ob sie die telefonisch durchgegeben hatten? Ich überlegte, wieviel sie wohl verlangen würden, und hätte nichts lieber getan, als das mit dem Holzfäller zu besprechen, denn ich war immer noch überzeugt, daß ihre Informationen falsch sein mußten, und wäre gern bereit gewesen, ihnen meine tatsächlichen Vermögensverhältnisse zu offenbaren, die sie dann getrost hätten nachprüfen können. Ich versuchte auszurechnen, wie lange es dauern würde, das Geld zusammenzubekommen, fragte mich, wie man so etwas organisierte. Inzwischen war so viel Zeit vergangen, daß meine Freilassung gewiß nahe bevorstand: Diese Überzeugung motivierte mich, regelmäßig zu essen und mich gesund zu erhalten. Aber ich besaß keinerlei konkrete Informationen, und jetzt, da die Zeitung wieder in seiner Tasche verschwunden war, hatte ich meine Chance, das zu ändern, verpaßt. Es wäre sinnlos gewesen, ihn um eine zweite Chance zu bitten, denn inzwischen weinte ich wirklich und war so tränenblind, daß ich den Artikel gar nicht mehr hätte lesen können.
    »Signora, fassen Sie sich, Sie müssen sich beruhigen.« Der schwarz vermummte Kopf entfernte sich von meinem Ohr, und ich versuchte wieder, durch die engen Sehschlitze in seine Augen zu spähen.
    Gehorsam hörte ich auf zu weinen.
    »Warum sagen Sie auf einmal Signora zu mir?« Er antwortete nicht.
    »Weil ich Sie sehen kann, nicht wahr?« Er sprach mich auf einmal auch ganz formell mit lei an, siezte mich so korrekt, wie er es draußen, im normalen Leben, getan hätte. Dabei hatte er mich bis heute immer geduzt, genau wie die anderen. Ich versuchte, mir dieses so unverhofft zurückeroberte Quäntchen Menschenwürde zunutze zu machen.
    »Bitte, warten Sie noch ein Weilchen mit dem Pflaster.«
    »Das hatte ich ohnehin vor. Sie werden nämlich einen Brief schreiben.«
    Ich erinnerte mich dunkel an andere Entführungsfälle und Briefe oder vielmehr polemische Pamphlete voll mit wirren politischen Ideen, die alle möglichen Leute zugestellt bekamen – einmal war es sogar der Erzbischof von Florenz gewesen. Wollten sie ein solches Manifest auch von mir, in der Annahme, daß ich einflußreiche Freunde hätte?
    »Ich kenne keine Prominenten, wenn es das ist, was…«
    »Darauf kommt es nicht an. Nehmen Sie einen Freund. Jemanden, der nicht zur Familie gehört und dessen Post nicht überprüft wird. Und der nicht zur Polizei geht, denn das würde Ihnen schlecht bekommen. Hier haben Sie was zum Schreiben. Was drin stehen soll, das hat der Boss schon aufgesetzt. Aber es sind nur Stichworte, Sie müssen den Text selber formulieren.«
    Es war eine Lösegeldforderung. Jetzt! Wo ich mir die ganze Zeit über vorgestellt hatte, wie sie telefonierten, alles in die Wege leiteten, wie das Geld aufgetrieben wurde und daß mich nur noch wenige Tage von meiner Freilassung trennten.
    »Es kann doch nicht sein, daß Sie bis heute noch keinen Kontakt zu meiner Familie aufgenommen haben?
    Wird es denn nicht immer gefährlicher für Sie, je länger Sie warten?«
    Er lachte. »Schreiben Sie.«
    Was blieb mir anderes übrig? Ich würde, den Notizen seines Bosses folgend, schreiben. Aber meine Verzweiflung, die Enttäuschung über die viele vergeudete Zeit machten mich unvorsichtig, und ich ließ mich zu der bissigen Bemerkung hinreißen: »Ich verstehe, warum er will, daß ich es mit eigenen Worten wiedergebe. Weil er weder die Rechtschreibung beherrscht noch einen zusammenhängenden Satz formulieren kann, stimmt’s?«
    Als ob ihm das noch gar nicht in den Sinn gekommen wäre, riß der Holzfäller mir den Zettel aus der Hand, und ich merkte, daß er um eine Antwort verlegen war, daß sein eigenes Sprachvermögen nicht ausreichte, um die

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