Alta moda
egal wie unerfreulich der kommende Vormittag zu werden versprach, er sah ihm mit der ruhigen Entschlußkraft dessen entgegen, der endlich wieder den Durchblick hat. Er mußte noch einmal ganz von vorn anfangen, sich die Aussagen von Leuten anhören, die er bereits vernommen hatte, aber diesmal würde er zum gesprochenen Wort den richtigen Subtext ergänzen und so das Gesagte entschlüsseln können. Und obwohl das nicht notwendig gewesen wäre, ging er die Sache in der ursprünglichen Reihenfolge an, was den Vorteil hatte, daß er das Ärgste zuerst hinter sich brachte.
Er rief sie von seinem Amtszimmer aus an und erinnerte sich, während er darauf wartete, daß sie an den Apparat kam, an die erste Begegnung mit ihr. Kerzengerade hatte sie in dem Stuhl gesessen, der ihm jetzt leer entgegengähnte, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, in angespannt lauernder Pose, und auf ihren spitz zulaufenden Fingern hatte das weiche Licht der Brillanten gefunkelt.
»Pronto?« Ihre Stimme beschwor die Szene im Palazzo herauf, den hochgewachsenen weißen Leib im Türrahmen. Ich wußte, du würdest es dir anders überlegen. Das Echo der kalten, höhnischen Stimme ließ ihn selbst in der Erinnerung noch frösteln. »Hallo, wer ist denn da?«
Er nahm sich zusammen. Er mußte sich am Riemen reißen, durfte jetzt keinen Fehler machen. Eines galt es noch herauszufinden: Was wollte sie von ihm? Komplett übergeschnappt, hatte die Contessa gesagt. Er bekam es mit der Angst zu tun, denn er begriff jetzt, wie schwer es für ihren Bruder sein mußte, sich oder seine unglückliche Mutter gegen ein so gefährlich labiles Geschöpf zu verteidigen. Schwach war sie, schwach, launisch und anspruchsvoll wie ein Kind. Die Crux dabei: Sie war kein Kind mehr, sondern erwachsen genug, ernsthaften Schaden anzurichten. Während des kurzen Gesprächs mit ihr waren all seine Sinne in Alarmbereitschaft. Er mußte herausfinden, wofür sie ihn benutzen wollte. »Wenn die Männer Sie bei uns im Haus nicht mehr haben wollen, könnte ich doch zu Ihnen in den Pitti kommen, oder?«
Warum? Warum? »Es wäre vielleicht nicht gut, wenn man Sie hier sieht…«
»So? Also mir macht das nichts aus. Ich habe ohnehin allen gesagt, daß ich als einzige mit Ihnen zusammenarbeite. Keiner kann mir die Schuld geben, falls Olivia nicht gerettet wird.«
Da hatte er sie, seine Antwort. Sie wollte das Geld behalten, nach außen hin aber ostentativ die Carabinieri unterstützen. Damit keiner mir die Schuld geben kann.
Dem Maresciallo lief es kalt den Rücken hinunter. Mit tonloser Stimme riet er ihr, den anderen keine Fragen zu stellen, sondern nur die Augen offenzuhalten und ihm ihre Beobachtungen diskret mitzuteilen.
»Das mache ich«, sagte sie, »verlassen Sie sich drauf.«
»Ich hätte gern noch kurz mit Ihrem Bru…« Aber sie hatte schon aufgelegt.
Den ganzen Vormittag versuchte er, den Bruder zu erreichen, aber jedesmal meldete sich die Schwester, und an der war einfach nicht vorbeizukommen.
»Er hat soviel um die Ohren, daß ich mich jetzt um die Anrufe kümmere. Sie können sich nicht vorstellen, wie man uns von früh bis spät belagert.«
»Sicher aus Sorge um Ihre Mutter.«
»Aber doch nicht in solchen Massen! Nie kann ich telefonieren, weil die Leitung ständig belegt ist. Lächerlich, so was! Die Leute sind einfach kindisch.«
Der Maresciallo gab sich geschlagen.
Er fand den Capitano im Büro des Staatsanwalts. Fusarri war konzentriert und aufmerksam und fraß seine kleinen Zigarillos förmlich in sich hinein.
Der Capitano schien besorgt. »Wenn Sie bei den Männern verspielt haben und der Tochter nicht trauen, haben wir dann überhaupt noch eine Chance, die Banknoten zu präparieren?«
»O ja, eine ziemlich gute sogar«, sagte der Maresciallo.
»Auf wen bauen Sie?« fragte Fusarri. »Auf die Cavicchioli Zelli?«
»Ja.«
»Dachte ich mir. Und warum?«
»Weil ich ihr vertraue. Und…«
»Und?«
»Weil es ihr Geld ist. Anders hätte sie keine Chance, es zurückzubekommen.«
»Nur mal interessehalber: Wie oft haben Sie mit der Contessa gesprochen?«
»Zweimal.«
Fusarri drückte sein Zigarillo aus und hob theatralisch die Hände. »Maestrangelo, ich weiß nicht, wie Sie’s entdeckt haben, aber dieser Mann ist ein Genie!«
Der Maresciallo runzelte die Stirn. Er war es gewohnt, daß man sich über ihn lustig machte, doch jetzt war keine Zeit für Frivolitäten. Fusarri erhob sich und begann, in seinem eleganten Büro auf und ab zu tigern. Dabei
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