Alta moda
nehmen, und die wiederum müßte als erstes dafür sorgen, daß Entführung als Gewaltverbrechen deklariert und nicht länger nur als verschärfte Form von Raubüberfall behandelt wird.
Auf derselben Seite stand, fett gedruckt, ein Kommentar, der das bestehende Gesetz über die Sperrung von Vermögenswerten im Entführungsfall verteidigte, aber dafür massiv dasjenige angriff, welches einem überführten und verurteilten Kidnapper, über den eine dreißigjährige Haftstrafe verhängt war, vorzeitige Entlassung auf Bewährung zugestand.
Im Prinzip sollte man an der gegenwärtigen Gesetzesregelung festhalten, da sie die Gewähr dafür bietet, daß Lösegeldzahlungen unter polizeilicher Kontrolle und mit registrierten Banknoten erfolgen, statt in konspirativen, die Ermittlungen gefährdenden Verfahren. Hüten wir uns also davor, vorschnell das Kind mit dem Bade auszuschütten. Das Gesetz ist modifizierungsbedürftig, gewiß, vorrangig aber sollten wir dafür Sorge tragen, daß gefaßte, verurteilte und inhaftierte Entführer nicht vorzeitig wieder auf freien Fuß gelangen.
Die restlichen Spalten warteten mit Statistiken und Analysen zu anderen Entführungsfällen der jüngeren Zeit auf. Umseitig fand sich eine ganze Doppelseite mit Fotos von Leonardo und Caterina Brunamonti. Die Aufnahme von Leonardo war die gleiche, die La Nazione schon in einer früheren Ausgabe abgedruckt hatte. Aber das Bild von Caterina war neu, ein richtiges Glamourfoto mit einem theatralischen Touch in Form einer dunklen Brille, die schmerzliche Trauer und verweinte Augen suggerieren sollte. Das Interview, das den Fotos beigegeben war, las der Maresciallo in seinem Amtszimmer, und seine gefurchte Stirn war dabei kein Zeichen von Konzentration, sondern eins ängstlicher Besorgnis. Die Interviewte wurde als »Sprecherin der Familie Brunamonti« tituliert. Der Maresciallo sah seine schlimmsten Befürchtungen erfüllt.
»Sie haben also den Eindruck, diese Entführung sei aufgrund von Fehlinformationen zustande gekommen?«
»Allerdings. Die Lösegeldforderung übersteigt unsere Mittel bei weitem. Die Entführer müssen falsch unterrichtet gewesen sein.«
»Und woher könnten solche Fehlinformationen Ihrer Meinung nach stammen?«
»Das kann man natürlich nicht mit Sicherheit sagen. Vielleicht werden wir es nie erfahren.«
»Aber Sie haben einen Verdacht?«
»Nicht gegen eine bestimmte Person, aber dadurch, daß die Contessa ihre Firma im Palazzo Brunamonti angesiedelt hatte, war es leider so, daß sehr viel mehr Menschen dort aus und ein gingen, als das normalerweise der Fall gewesen wäre, und natürlich hatten auch die Angestellten einen ungewöhnlich engen Kontakt zum Haus und verfügten somit über detaillierte Informationen. «
»Wie stehen Sie zu dem Gesetz, dem zufolge jetzt die Vermögenswerte Ihrer Familie gesperrt werden?«
»Ich halte es für eine sinnvolle Maßnahme, eine, die uns schützt und zur Ergreifung der Entführer beitragen wird.«
»Und Sie fürchten nicht, daß es die Gefangenschaft der Geisel in die Länge ziehen, ja sogar ihr Leben gefährden könnte?«
»Ich sehe dafür keinen zwingenden Grund. Wir arbeiten mit den Behörden zusammen, und im Gegenzug muß der Staat auch mit uns kooperieren.«
»Und wie sollte diese Kooperation Ihrer Ansicht nach aussehen?«
»Mir sind etliche Fälle bekannt, wo der Staat im Interesse der Verbrechensaufklärung das Lösegeld stellte – unter Verwendung präparierter Banknoten, versteht sich,«
»Sie hoffen also auf staatliche Unterstützung?«
»Das ist meine einzige Hoffnung, da wir selber die geforderte Summe unmöglich aufbringen können. Dabei ist mir wohl bewußt, daß wir nicht die politischen Beziehungen haben, die uns einen Geiselstatus erster Klasse garantieren wurden. Aber wir können uns nur kooperationsbereit zeigen und hoffen, daß selbst ein Entführungsopfer zweiter Klasse eine Überlebenschance hat.«
Bevor der Maresciallo zu Ende gelesen hatte, klingelte das Telefon. Es war der Apparat, über den er direkt mit dem Präsidium verbunden war.
»Guarnaccia.«
»Haben Sie’s schon gelesen?«
»Ja… das heißt, ich bin grade dabei.«
»Kein Wort zu den Reportern!«
»Nein. Aber werden Sie eine Pressekonferenz einberufen?« Der Maresciallo überflog weiter die Zeitungsseite, und sein Blick blieb an einer Schlagzeile zum Thema Entführungsopfer erster und zweiter Klasse hängen.
»Wenn es nach mir geht, nicht, aber das letzte Wort hat der Staatsanwalt. Auf
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