Alta moda
Achtung vor ihren Mitmenschen.« Signora Verdis Gesicht war hochrot vor Zorn.
»Einfach unglaublich, wie verschieden diese beiden Geschwister sind.«
»Ich weiß, was Sie meinen. Ich habe selber zwei Söhne, und die sind so verschieden wie Tag und Nacht…« Der Maresciallo redete weiter, bis die Signora sich wieder beruhigt hatte, und dann verabschiedete er sich mit der einzigen guten Nachricht, die er preisgeben durfte: daß der kleine Hund noch am Leben und in Sicherheit sei.
»Ach, Maresciallo, was für eine Freude! Weiß Leonardo es schon?«
»Ich glaube kaum. Ich habe mehrmals versucht, ihn anzurufen, aber…«
»Ich weiß. Na, ich will gleich mal raufgehen. Das wird ihm wieder Lebensmut geben, wenn er hört, daß die kleine Tessie lebt und in Sicherheit ist.«
Der Maresciallo ging nach nebenan in Giorgios Lokal und bestellte einen Kaffee.
»Den mache ich Ihnen höchstpersönlich, Maresciallo! Und? Wie kommen Sie voran?«
Guarnaccia winkte ab. »Was redet man denn so auf der Piazza?«
»Nichts, woran man sich halten könnte. Die Leute sind wie die Zeitungen: Wenn nichts passiert, erfinden sie was. Ah! Wenn man vom Teufel spricht…«
Der Maresciallo drehte sich um und sah den stämmigen Nesti bedächtigen Schritts zur Tür hereinkommen.
»Geben Sie mir einen Kaffee.« Zwischen seinen wulstigen Lippen hing eine unangezündete Zigarette; Nesti versuchte sich also wieder einmal das Rauchen abzugewöhnen. »Guarnaccia«, raunzte er den Maresciallo an, »wenn Sie schon die Entführer nicht zu fassen kriegen, warum nehmen Sie dann nicht wenigstens diese Kuh von einer Tochter fest, damit diese Wie-immer-sie-heißt nicht dauernd mein Büro belagert.«
»Die Signorina war bei Ihnen in der Redaktion?«
»War? Sie gehört mittlerweile zum Inventar. Sie ist auch jetzt wieder da und sülzt einen von meinen Kollegen voll. Ich hab’s Ihnen doch vorausgesagt. Der liegt mehr daran, täglich ihr Bild in der Zeitung zu sehen, als ihre Mutter zu retten, und der Fall ist ihre einzige Chance, in die Schlagzeilen zu kommen, es sei denn, einer von meinen Kollegen murkst sie ab, was von Minute zu Minute wahrscheinlicher wird. Mann Gottes, können Sie diesen Fall nicht endlich aufklären? Ich muß zurück – sehen Sie sich das an, jetzt mache ich’s schon wie Sie und verstecke mich hinter einer dunklen Brille!« Nesti stürzte den Rest seines Kaffees hinunter und schlurfte, die Zigarette noch immer unangezündet im Mundwinkel, auf die belebte Piazza, hinaus.
»Was ist dem denn über die Leber gelaufen?« fragte Giorgio. »Nicht, daß ich ihn je gut gelaunt erlebt hätte, jedenfalls nicht, solange er nüchtern ist.«
»Ach, er hat, scheint’s, eine Abneigung gegen die Tochter der Contessa Brunamonti gefaßt. Was bin ich schuldig?«
»Nichts. Das geht aufs Haus. Abneigung, ja da ist er wohl nicht der einzige… Obwohl, ich kenne sie gar nicht persönlich, hat noch nie einen Fuß in mein Lokal gesetzt, die Signorina… wie heißt sie gleich?«
»Caterina.«
»Ah, ja. Soll ich Ihnen was sagen, Maresciallo? Es ist viel zu warm. Gestern abend im Wetterbericht haben sie’s auch gesagt. Die Temperaturen lägen weit über dem jahreszeitlichen… Was zum…«
Die verglaste Eingangstür war so heftig zugeknallt, daß drinnen die Theke erzitterte. Ein Kellner eilte herbei, öffnete die Tür wieder und verkeilte sie sorgfältig.
»Was hab ich gesagt?« rief Giorgio. »Viel zu warm! Da braut sich bestimmt ein Gewitter zusammen, wenn der Wind plötzlich so auffrischt.«
Doch es war kein Windstoß gewesen.
10
Wegen des Erdbebens, das bis Florenz zu spüren war, auch wenn sein Epizentrum im Nachbarland lag, wo es verheerende Schäden anrichtete, gelangte Caterina Brunamonti tags darauf nicht in die Schlagzeilen. Immerhin druckte La Nazione ihr Interview und widmete der Brunamonti-Entführung nebst Stellungnahmen zum Thema Kidnapping im allgemeinen fast drei Seiten. Der Generalstaatsanwalt von Sardinien erhob schwere Vorwürfe gegen den Richter, der seiner Ansicht nach für Puddus Flucht verantwortlich war. Es sei inzwischen Usus, Häftlinge für gute Führung mit Freigang zu belohnen; manche bekämen ihn stunden-, andere gleich tageweise. Langzeithäftlinge könnten bereits nach Verbüßung der Hälfte ihres Strafmaßes mit einer Bewährung rechnen. Dabei sei Wohlverhalten im Vollzug die Spezialität gerade der wirklichen Schwerverbrecher, die wüßten, wie man das System manipuliere, und die der gefährlichsten Kriminellen
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