Altar der Ewigkeit: Thriller (German Edition)
verarbeiten. Ich dachte an die geheimen Akten über die sexuellen Großtaten des Präsidenten, die ich gelesen hatte. Die Orgien im Swimmingpool des Weißen Hauses, die zahllosen One-Night-Stands oder besser Dreißig-Minuten-Stands mit einem nahezu endlosen Strom von Frauen jeder Gesellschaftsschicht und die Art und Weise, wie er hinterher über sie redete. Er nannte sie Fotzen, Arsch und Titten.
Doch unsere Miss Sex-Appeal in Person hier glaubte, der Mann würde sie für die Wunder ihres Verstands schätzen.
» James Joyce konnte die menschliche Seele wahrhaftig durchdringen, findet ihr nicht?«, sagte Marilyn jetzt, und frag mich nicht, wie sie von Sex mit dem Präsidenten zum Grundkurs Englische Literatur kam. » Ich habe Molly Blooms gedankliches Mäandern gelesen– siehst du, ich kann mich genauso klug ausdrücken wie du, Mike… Jedenfalls schreibt hier Joyce, ein Mann, darüber, was eine Frau so für sich denkt, aber er liegt genau richtig, oder? Unser ganzer Schmerz und unsere Unsicherheit. Und ich habe auch Shakespeare gelesen und ganze Passagen auswendig gelernt, weil ich mir überlegt habe, ich könnte das Marilyn-Monroe-Shakespeare-Film-Festival produzieren und darin spielen. Ich werde von einem weiblichen Standpunkt an alle seine Stücke herangehen.«
» Oh, das gefällt mir«, sagte Katja, und ich wusste, sie hatte die Begeisterung in ihrer Stimme nicht vorgetäuscht, die Gute. Sie hatte ein überaus großzügiges Herz. Wenn sie an dich glaubte, dann tat sie es voll und ganz. » Ein weiblicher Shakespeare. Und denk nur mal, wie alle Leute dann sehen werden, was für eine vorzügliche Schauspielerin du bist.«
Marilyn strahlte. » Bestimmt werde ich einen Oscar für eine oder mehrere meiner Shakespeare-Frauen gewinnen. Lach nicht, Mike.«
» Ich lache nicht«, sagte ich, und wenn irgendwer hier einen Oscar verdient hatte, dann ich.
» Ach, Kat«, sagte Marilyn zu meiner Frau, » du weißt ja nicht, wie gern ich mit Jack darüber gesprochen hätte, um auch seine Meinung zu hören, aber als ich ihn zu erreichen versuchte, stellte ich fest, dass er seine Nummer geändert hatte, die spezielle für das Oval Office, die er mir gegeben hatte. Deshalb habe ich bei der Telefonzentrale des Weißen Hauses angerufen, aber sie wollten mich nicht durchstellen.«
Sieh mal an, dachte ich. Das ist ja interessant.
Ich erinnerte mich natürlich an die Fundraising-Veranstaltung der Demokraten ein paar Wochen zuvor im Madison Square Garden, wo Marilyn in ihrer Pelzstola und einem zwölftausend Dollar teuren perlenbesetzten Kleid von Jean Louis aus jeder Pore Sex verströmt und » Happy Birthday, Mr. President« gesungen hatte. Sie hätte nicht deutlicher vor aller Welt verkünden können, was Sache war, wenn sie sich im Fernsehen hingestellt und gesagt hätte: » Ich schlafe mit John Fitzgerald Kennedy.«
Es war also kaum erstaunlich, wenn die Berater des Präsidenten auf jenen Abend mit erwachendem Entsetzen reagiert hatten. Besser zu spät als gar nicht, meiner Meinung nach. Die Affäre hatte bereits im Dezember begonnen, und jeder, der in Washington etwas darstellte, wusste davon. Das Pressekorps wusste mit Sicherheit alles darüber, aber sie brachten solche Dinge nicht auf die Titelseite, weil sie das Bild des Amtes nicht beflecken wollten, wie sie sagten. Aber vielleicht mochten sie Jack einfach und wollten, dass er wiedergewählt wurde, und abgesehen davon bekamen nicht wenige von ihnen, vor allem die Jungs der Washington Post, immer Einladungen zu diesen Pool-Partys im Weißen Haus.
Aber dann musste Marilyn hergehen und alle mit der Nase darauf stoßen. Und da Bruder Teddys Vorwahl für den Senat im September bevorstand und die Regierung sich immer noch nicht von dem Fiasko in der Schweinebucht erholt hatte, konnten sie es mit Sicherheit nicht gebrauchen, dass der Skandal einer Liebesgeschichte im Weißen Haus das Camelot-Image beschädigte, schon gar nicht einer Liebesgeschichte mit der berühmtesten Frau der Welt.
» Wenigstens konnte ich mit Bobby darüber reden«, fuhr Marilyn fort. » Ich habe ihn an diesem Abend getroffen, an dem ich ›Happy Birthday‹ sang, und er war wirklich eine große Hilfe in den letzten Wochen. Er ist ein wunderbarer Mensch, dem man seine Probleme und seine Träume erzählen kann.«
Ich schluckte ein verächtliches Schnauben zusammen mit einem Stück Schinken und wäre beinahe erstickt. Katja machte leise beschwichtigende Geräusche tief in der Kehle, aber zwischen ihren
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