Altar der Ewigkeit: Thriller (German Edition)
zu fassen, als du noch in Los Angeles warst, Mutter«, sagte Zoe, die sie ablenken wollte, um Zeit zu gewinnen, wenngleich ihr nicht recht klar war, wofür. » Wenn ich an deine Schauspieleinlage in der Bibliothek denke, als du so getan hast, als hättest du nie im Leben von einem Knochenaltar gehört.«
Ein freudloses Lächeln trat auf das Gesicht ihrer Mutter. » Du warst nicht immer die Auserwählte, meine liebe Zoe. An dem Morgen, bevor sie mich in dem Waisenhaus ablud und für immer verließ, hat deine liebe verstorbene Großmutter mir von dem Wunderding namens Knochenaltar erzählt. Sie sagte, er sei in einer Höhle in Sibirien versteckt, und wenn man davon trank, könne man nicht sterben, und das würde ihn gefährlich machen. Sie sagte, die Frauen in unserer Familie würden Hüterinnen genannt und hielten den Altar vor der Welt versteckt. Eine heilige Pflicht, seit Anbeginn der Zeit von der Mutter an die Tochter weitergegeben. Was für ein Gefasel.«
Doch das Gesicht von Zoes Mutter schien weicher zu werden, als sie sich in der Erinnerung an diese letzten Momente mit einer Mutter verlor, die im Begriff war, für immer aus ihrem Leben zu verschwinden.
» Aber ich war erst neun«, fuhr Anna Larina fort, » und wie Kinder so sind, interessierte mich nur, wie ein Altar aus Knochen gemacht sein konnte. Ich glaube, das hielt sie davon ab, mir alles andere zu erzählen– sie befürchtete, ich würde es nicht verstehen oder wieder vergessen. Sie zeigte mir allerdings die Ikone einer Jungfrau Maria, die einen Schädelbecher im Schoß hielt. Sie sagte, eine Hüterin zur Zeit Iwans des Schrecklichen habe die Ikone geschaffen, um mit ihrer Hilfe das Geheimnis des Altars zu bewahren.«
» Kein Wunder, dass du all die Jahre Ikonen gesammelt hast«, sagte Zoe. » Ich dachte, du würdest es tun, weil sie schön sind und es dich glücklich macht, sie anzusehen. Deine Ikonen schienen das Einzige auf dieser Welt zu sein, das dir wirklich etwas bedeutete, und selbst das war eine Lüge.«
Ihre Mutter verzog den Mund zu einem höhnischen Lächeln. » Wirklich, Zoe, du verströmst einfach zu jeder Tages- und Nachtzeit Sentimentalität. Sie waren eine Investition, sonst nichts, während ich die Welt nach der einen Ikone absuchte, um die es mir in Wirklichkeit ging. Als Mutter nicht wiederkam, dachte ich, sie sei gestorben, und das Ding wäre verkauft worden oder im Pfandhaus gelandet. Ich dachte, sie wäre gestorben…«
Sie ist immer noch dieses kleine Mädchen, dachte Zoe. Das kleine Mädchen, das im Waisenhaus auf eine Mutter wartete, die nicht zurückkam. Und als Katja sie überging, um ihre Enkelin zur Hüterin zu machen, musste sie das Gefühl gehabt haben, noch einmal verlassen worden zu sein. Nur dass sie nicht weiß, warum. Katja hat ihr von dem Altar erzählt und dass sie eines Tages die Hüterin sein würde, aber dann hat sie ihr alles weggenommen und es mir gegeben, und sie kann nicht verstehen, warum ihre Mutter ihr das angetan hat. Sie weiß nicht, warum.
» Ich dachte, sie sei gestorben«, sagte Anna Larina noch einmal, Wut und Schmerz im Gesicht. » Aber die ganze Zeit hat sie alles für dich aufgehoben.«
» Du irrst dich«, sagte Zoe. » Was du über sie denkst, ist falsch. Sie hat dich nicht gehasst. Sie hat dich in dem Waisenhaus zurückgelassen, damit du vor den Jägern sicher bist, und sie hätte dir die Ikone später gegeben, sie hätte dich zur Hüterin gemacht, aber…«
» Aber was, Zoe? Es ist mir inzwischen scheißegal, warum das alte Miststück getan hat, was es getan hat, aber du scheinst die Katharsis nötig zu haben, also sprich weiter.«
» Du warst ihr kleines Mädchen, und du warst im Begriff zu sterben, und sie ertrug es nicht. Deshalb hat sie dir von dem Altar zu trinken gegeben, obwohl sie wusste, was es bewirken würde. Ein Tropfen, und du würdest überleben. Aber ein Tropfen reichte auch, um dich wahnsinnig zu machen.«
» Ich… Was willst du damit sagen?«
Zoe hätte fast einen Schritt auf ihre Mutter zu gemacht, weil sie sie instinktiv trösten wollte, aber der Tümpel lag jetzt zwischen ihnen. Und die tödliche Waffe war weiter ruhig auf sie gerichtet.
» Sie will sagen, dass der Knochenaltar ein echter Jungbrunnen ist«, sagte Ry. » Aber davon zu trinken hat auch eine katastrophale Folge, und ich glaube, tief im Innern wissen Sie bereits, welche das ist. All die Jahre, in denen sich Ihr Gesicht im Spiegel kaum veränderte, haben Sie gespürt, wie der Wahnsinn in Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher