Altar der Ewigkeit: Thriller (German Edition)
Vater ein Ungeheuer war.
Er sah noch einen Moment auf das leblose Gesicht, dann legte er die Priesterstola um den Hals, machte das Kreuzzeichen mit heiligem Öl auf die Stirn seines Vaters und erteilte ihm die Absolution. Vergab Michael O’Malley seine Sünden, auch wenn der gar keine Vergebung wollte.
Die Handlung, die Worte, sie waren in Wirklichkeit für ihn selbst.
Als er fertig war, zögerte er einen Moment, dann beugte er sich vor, drückte einen Kuss auf die eingefallenen Wangen seines Vaters und fragte: » Wer bist du?«
Draußen im Flur bat eine blecherne Lautsprecherstimme einen Dr. Elder, sich in der Radiologie zu melden. Dom setzte sich in den Sessel neben dem Bett seines Vaters und stützte die Ellbogen auf die gespreizten Knie. Er befühlte seinen Rosenkranz, aber es waren keine Gebete in ihm. Er hatte plötzlich schreckliche Angst, er würde nie wieder beten können.
Er wusste nicht, wie lange er so dasaß, aber mit einem Mal merkte er, dass sich der Raum verändert hatte. Die Apparate piepsten noch, der Sauerstoff zischte, aber es war irgendwie leiser. Leerer.
Er riss den Kopf hoch. » Dad?«, sagte er und wusste, noch ehe er hinsah, dass sein Vater tot war. Einen Sekundenbruchteil später merkte es auch der Apparat, und das gleichmäßige Piepsen verwandelte sich in einen schrillen Alarm.
Vielleicht fünf Sekunden lang starrte Dom auf die leere Hülle, die einmal Michael O’Malley gewesen war, dann stieß er sich hoch und rannte aus dem Zimmer.
Er stand mitten im Flur, während Ärzte und Schwestern an ihm vorbeistürmten und die Lautsprecher plärrten: » Code Blue! Code Blue!« Sein Herz hämmerte laut, aber schon kam er sich idiotisch vor. Auf der Flucht vor Phantomen.
Der Flur leerte sich binnen Minuten, und er stand allein da. Er rieb sich das Gesicht. Seine Augen brannten, aber er konnte nicht weinen.
Der Aufzug ging auf, und ein Pfleger mit einer leeren Trage kam heraus, gefolgt von einer Frau. Sie trug einen grünen Chirurgenkittel, aus einer Tasche baumelte ein Stethoskop und…
Sie hatte rotes Haar und war zum Weinen schön.
Es gab einen kurzen Augenkontakt zwischen ihnen, dann wandte sie sich in Richtung Schwesternstation. Sie nahm ein Krankenblatt zur Hand, und auch wenn es aussah, als würde sie es lesen, fühlte Dom eine Energie wie eine elektrische Ladung von ihr ausstrahlen, und diese Energie war auf ihn konzentriert.
Der Pfleger war ebenfalls an der Schwesternstation stehen geblieben, aber jetzt schob er die Trage den Flur entlang und verschwand um die Ecke. Dom folgte ihm kurz mit den Augen, und als er sich wieder umsah, kam die Frau im grünen Kittel auf ihn zu.
Sie schob die Hand in die Tasche– die ohne das Stethoskop–, und sie lächelte.
Dom wirbelte herum und rannte in die Richtung, die der Mann mit der Rolltrage eingeschlagen hatte, und die Worte seines Vaters schrillten wie ein Alarm in seinem Kopf. Lose Fäden … Sie hatte das Lächeln eines Killers … ebenso wahrscheinlich eine Kugel in den Kopf …
Aber sie würde es nicht wagen, ihn hier vor Zeugen zu erschießen, oder?
Er bog um die Ecke, das Leder seiner schwarzen Priesterschuhe rutschte auf dem gewachsten Linoleum. Er entdeckte ein blaues Toilettenschild und schlüpfte hinein. Es war eine Einzeltoilette.
Er verschloss die Tür und testete die Klinke, ob sie auch wirklich hielt. Er lehnte sich an die Wand, die Hände flach an der Seite, und lauschte angestrengt nach Geräuschen im Flur, aber alles, was er hörte, war sein eigenes raues Keuchen.
Er wartete eine Ewigkeit, wie ihm schien, dann ging er zum Waschbecken und machte sich das Gesicht nass.
Aus dem Spiegel starrte ihm dasselbe Gesicht entgegen, das er am Morgen rasiert hatte. Braunes Haar, braune Augen. Ein ziemlich gewöhnliches Gesicht eigentlich, bis auf diese lächerlich tiefen Grübchen, die er immer gehasst hatte, weil sie in das Gesicht einer Cheerleaderin gehörten, nicht in das eines Jungen. Jungs sollten zu hart sein für Grübchen, selbst Jungs, die Priester wurden.
Die Klinke ratterte, und Dom erstarrte, er atmete nicht einmal. Wieder wurde an der Klinke gerüttelt, aber die Person auf der anderen Seite rief oder klopfte nicht. Die Stille zog sich hin, dann hörte Dom, wie sich Schritte entfernten.
Er umfasste das Waschbecken mit beiden Händen, beugte sich darüber und schloss die Augen. Sein Vater war tot. Michael O’Malley war tot, nur dass es nie einen Michael O’Malley gegeben hatte. Dieser Mann war eine Illusion,
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