Altar der Ewigkeit: Thriller (German Edition)
Rammbock herein… Mack, ich muss jetzt wirklich dringend duschen.«
Er fuchtelte mit der Hand. » Okay, okay, ich geh ja schon. Der Streifenwagen müsste in fünf Minuten da sein, aber ich warte solange draußen, für alle Fälle. Und ich schicke die Laborleute her, sie sollen alles hier fein säuberlich auf Spuren untersuchen.«
Nachdem die Tür hinter ihm zugefallen war, ließ Zoe den eisenverstärkten Balken herunter und hakte ihn ein. Sie schaute aus dem Fenster, bis sie Mackey auf der gegenüberliegenden Straßenseite auftauchen sah, wo er sich an einen Laternenmast lehnte, um auf den Streifenwagen zu warten. Da sie sich nun zumindest für den Moment sicher fühlte, ging sie in die Knie und angelte das Kuvert unter dem Bett hervor.
Sie fand ihre Schere in dem ganzen Durcheinander nicht, deshalb schlitzte sie die zugeklebte Lasche vorsichtig mit einem Steakmesser auf. Sie machte ein Handtuch feucht und wischte Mehl, Zucker und ein nicht identifizierbares klebriges Zeug von ihrem Flohmarkttisch, und wenn den Laborleuten das nicht gefiel, hatten sie eben Pech gehabt. Sie fand noch einen Stuhl, der nicht zu Kleinholz geschlagen war, zog ihn an den Tisch und setzte sich.
Bitsy und Barney gesellten sich zu ihr, sie schnurrten, rieben sich an ihren Armen und hielten sie generell auf, so gut sie konnten. Eine Weile saß sie einfach nur mit dem Kuvert in der Hand da. Sie war aufgeregt, und sie hätte weinen mögen. Ihre Großmutter hatte diesen Umschlag in ihrem Briefkasten deponiert, kurz bevor sie ermordet wurde. Zoe war überzeugt davon.
Sie öffnete das Kuvert und leerten seinen Inhalt vorsichtig auf den Tisch: eine Postkarte, einen Schlüssel und einige zusammengefaltete Blätter liniertes Papier.
Die Postkarte, die an den Rändern abgestoßen und an den Ecken umgeknickt war, zeigte einen berühmten mittelalterlichen Wandteppich, einen von denen mit einem Einhorn. Sie drehte die Karte um.
Sie war nicht adressiert, aber in den Raum für die Grußbotschaft hatte ihre Großmutter oder irgendwer etwas geschrieben, das wie ein Gedicht auf Russisch aussah:
Blut fließt ins Meer
Das Meer berührt den Himmel
Vom Himmel fällt das Eis
Feuer schmilzt das Eis
Ein Unwetter löscht das Feuer
Und wütet durch die Nacht
Doch Blut fließt ohne Ende
Hinaus ins Meer
Es ließ sich nicht wirklich wie ein Gedicht lesen, es war rundum merkwürdig. Die Worte waren schlicht, sie beschworen klare Bilder in ihrem Kopf herauf, aber sie konnte keinen Sinn in dem Ganzen ausmachen. Sie las es noch zweimal und war nicht schlauer als zuvor.
Der kleine Aufdruck am oberen Rand der Karte wies den Bildteppich als Die Dame und das Einhorn: À mon seul désir aus. Musée de Cluny, Paris. Sie drehte sie wieder um. Eine Frau stand mit ihrer Dienerin an der Seite vor einem Zelt und hielt einen offenen Korb in der Hand. Ein Einhorn lag auf dem Boden neben ihr. Auf dem Bild war jedoch nichts von fließendem Blut, herabstürzendem Eis oder wütenden Stürmen zu sehen.
Sie steckte die Postkarte wieder in den Umschlag und griff nach dem Schlüssel.
Er sah alt aus. Nein, älter als alt– er sah so alt aus wie der Anbeginn der Zeit und fühlte sich schwer an, wie Bronze. Und sonderbar warm in ihrer Hand, als hielte er noch das Feuer von der Schmiede gefangen, in der er gefertigt worden war. Sein Ende hatte die Gestalt eines Greifs, eines Tiers mit Kopf und Flügeln eines Adlers und dem Körper eines Löwen. Aber die Zahnung des Schlüssels war besonders merkwürdig– wie Ferengi-Zähne, spitz und wild kreuz und quer stehend. Zoe konnte sich kein Schloss vorstellen, in das ein solcher Schlüssel passen könnte.
Sie legte den Schlüssel ebenfalls in das Kuvert zurück, dann nahm sie die Blätter des Notizpapiers und entfaltete sie. Es war ein ebenfalls kyrillisch geschriebener Brief, die Worte waren ungleichmäßig und zittrig.
An meine geliebte Enkelin
Es heißt, man kann vollständig verschwinden, wenn man als Obdachlose auf der Straße lebt. Ich bete, dass es so ist. Dass es mir gelingt, diesen Brief zu Dir zu bringen, ohne dass mich die Jäger zuvor finden.
Ich bedauere sehr viele Dinge, aber was mich am meisten traurig macht, ist, dass ich nie die Freude haben werde, in Dein Gesicht zu blicken. Um Dich vor den Jägern zu bewahren, habe ich mich so viele und einsame Jahre ferngehalten, aber letzte Woche hat man mir mitgeteilt, ich sei unheilbar an Krebs erkrankt. Ich werde bald sterben. Das ist der Grund, warum ich jetzt hier bin, der
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