Alte Feinde Thriller
fühlte ich mich schlecht, wie man das tut, wenn man so eine tragische Geschichte liest. Man wünscht sich, das Ganze wäre nicht passiert. Doch dann setzte mein Selbsterhaltungstrieb ein. Vergiss es, du kannst sowieso nichts dagegen tun, außer mit deinen Gedanken und Gebeten bei der Fam…
Doch dann fiel mir ein, wo ich war, wann ich war.
Ich konnte etwas tun.
VII
Die Grube
Ich musste mir eine Ausgabe der Zeitung besorgen. Musste die Einzelheiten in Erfahrung bringen. Namen, Adressen. Die übliche Recherchearbeit. Nachdem ich eine Zeit lang daran herumgefingert hatte - diesmal dauerte es eine halbe Minute -, hatte ich schließlich einen Evening Bulletin unter dem Arm klemmen.
Wieder oben im Büro, schlug ich die Zeitung auf und versuchte mir möglichst viel davon einzuprägen. Die Glenharts wohnten an der Allengrove Street in Northwood, etwa sechs Blocks von hier. Patty hatte zwei ältere Brüder, die beide bereits zur Schule gingen. Auch wenn das Mädchen fast noch im Kleinkindalter war, war es unglaublich altklug. Laut ihrer Mutter hatte es die Angewohnheit, bei Kresge’s an den Tresen des Imbisstands zu marschieren und etwas zu essen zu bestellen, bevor ihre Mutter etwas einwenden konnte. Die Bedienung und der Koch fanden das süß und gaben ihr meistens einen Gratis-Imbiss.
Die Bedienung und der Koch wurden auch dahingehend zitiert, dass sie einen »unheimlichen« Typen mit langen Koteletten und gelber Jacke gesehen hätten, der in der Nähe des Imbisses herumgeschlichen sei, etwa zu dem Zeitpunkt, als die Mutter angefangen habe, um Hilfe zu rufen: Wo ist meine Kleine, oh Gott, wo ist meine
Kleine. Die Polizei sucht nach Hinweisen, bitte rufen sie an unter MU6-8989 …
Ich las, so viel ich konnte, prägte mir möglichst viele Einzelheiten ein, dann legte ich mich auf den Boden und wartete, bis ich das vertraute Schwindelgefühl verspürte. Ich hatte vier Pillen genommen, in der Annahme, ich bräuchte diese Zeit, um meinen Vater abzupassen. Mit dieser Sache hatte ich nicht gerechnet.
Nach einer Weile schlief ich wohl ein, denn bevor ich mich versah, fand ich mich im Apartment wieder.
Ich rappelte mich auf und prüfte auf meinem Laptop, wie spät es war - 3.17 Uhr. Nur noch ein paar Stunden bis Sonnenaufgang. Mir blieb nicht mehr viel Zeit.
Ich klickte auf Google, tippte »Glenhart«, »Allengrove« und »vermisst« ein - und landete sofort einen Treffer.
Wie jede alte Stadt hat auch Philadelphia eine lange Historie von Gräueltaten. Einige machten landesweit Schlagzeilen, wie Gary Heidnick mit seinem berüchtigten Keller voller Sexsklaven in West Philly. Oder der Radiojournalist, der einen Polizeibeamten erschoss, darauf zum Tode verurteilt wurde und mit seinem Fall Berühmtheit erlangte. Oder die Bombardierung eines kompletten Wohnblocks im Kampf gegen eine Gruppe Radikaler, die sich MOVE nannte. Wofür der Bürgermeister persönlich verantwortlich war.
Doch selbst hier im Nordosten Philadelphias - wobei Frankford eine inoffizielle Grenze zum Rest der Stadt
bildete - hatten sich eine Menge schwerer Verbrechen ereignet.
Zum Beispiel die Sache mit dem »Jungen im Karton« - so wurde ein Kind genannt, nicht älter als sechs Jahre, das man 1957 an einer wenig befahrenen Straße zu Tode geprügelt in einem alten Karton für Korbwiegen gefunden hatte. Trotz einer aufwendigen Kampagne und eines Fotos des Jungen, das in jeder Stadt der Gasrechnung beilag, konnte seine Identität bis heute nicht geklärt werden.
Das Revier des Schlitzers von Frankford lag sogar noch näher, des Serienmörders, der in den späten 1980ern Jagd auf Prostituierte machte. Was das betrifft, habe ich Meghan nicht verarscht; den Schlitzer gab es wirklich. Die Polizei verhaftete schließlich einen Mann, der später für einen der Morde verurteilt wurde, allerdings vermutete man, dass der echte Schlitzer entweder tot oder noch auf freiem Fuß war.
Beim »Mädchen in der Grube«, einer weiteren Gräueltat aus Frankford, war das anders. Zu meiner Überraschung hatte ich noch nie davon gehört. Dabei hatte ich es mir zur Aufgabe gemacht, sämtliche Kriminalfälle aufzuspüren, die sich in der Gegend ereignet hatten, in der ich aufgewachsen war.
Auf einer privaten Webseite über wahre Kriminalfälle stand eine knappe Zusammenfassung der Ereignisse. Patty Glenhart war verschwunden und blieb verschwunden. Erst Jahre später wurde ihre Leiche gefunden.
Ich hielt mich nicht mit den grausamen Einzelheiten auf. Es gab bloß
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