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Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil

Titel: Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil Kostenlos Bücher Online Lesen
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hieß das, dass am Morgen jemand kam, der ihm in den Tag half, und abends jemand, der ihn ins Bett brachte. Ein Segen war, dass er gerne und viel schlief, wobei nicht klar war, ob er zwölf Stunden in tiefem Schlummer lag oder einfach nur im Bett blieb, weil es ihn freute, dass er es warm hatte – dieser ehemalige Bauernbub, in dessen Kindheit das Schlafzimmer winters so kalt gewesen war, dass das Kondenswasser an den Wänden herunterlief. Wenn die Frauen vom Mobilen Hilfsdienst, von der Hauskrankenpflege oder Ursula, die Frau von Peter, morgens gegen neun in sein Schlafzimmer traten, war er meistens noch fest in seine Decke eingerollt, obwohl die Lichter gegen neun am Abend gelöscht worden waren. Und schon damals zeigte sich, dass er sich nur ungern von kleinen Frauen mit zaghaften Stimmen Anweisungen geben ließ.
    Tagsüber stand der Vater fast ununterbrochen bei Peter und Ursula im Garten und wartete auf Gesellschaft, wenn möglich durch die Enkeltöchter. Auf Dauer war das keine Lösung, weil der Vater kein Gefühl mehr für die Häufigkeit und Dauer seiner Besuche besaß. Deshalb schauten wir uns nach einer stundenweisen Nachmittagsbetreuung um. Liliane, eine Nachbarin, bei der wir ihn in guten Händen wussten, spielte mit ihm Mensch ärgere dich nicht , ging mit ihm spazieren und nahm ihn mit auf Ausflüge. Ein oder zwei Tage pro Woche verbrachte er in der Tagesbetreuung im Altersheim, wohin ihn meistens Ursula brachte. Das war eine gute Zeit, für alle ein zufriedenstellendes Arrangement.
    Helga übernahm die Wochenenden, und Werner schaute auf das Haus und den Garten. Die Mutter und ich kamen zwischendurch aus Wien für einige Tage oder Wochen, wir schliefen im Haus und kümmerten uns um alles, so dass sich die anderen während dieser Zeiten zurückziehen konnten. Jeder ging auf seine Art mit der neuen Situation um, ohne verzweifeln zu müssen, jeder entsprechend seiner Stärken und Kapazitäten – wir alle hatten weiß Gott auch anderes zu tun und hätten uns unser Leben immer wieder etwas einfacher gewünscht. Trotz der Arbeitsteilung war es von Anfang an eine kräftezehrende Aufgabe.
    Immerhin verstärkte sich das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Familie. Die Krankheit des Vaters hielt den Familienzerfall auf. Wir Geschwister saßen jetzt wieder alle im selben Boot, wenn auch naturgemäß jeder an einer anderen Stelle.
    In diese Zeit fällt, dass ich als Autor erfolgreich wurde, sehr plötzlich, es war, als wäre der Erfolg durch den Schornstein gerasselt. Ich war bis dahin ein Autor gewesen, der gelobt wird, aber nicht gelesen. Jetzt bekam ich viel Aufmerksamkeit und Einladungen in die ganze Welt, was einige Vorteile, aber auch den Nachteil hatte, dass ich in diesem Lebensbereich Zeit aufbringen musste, wo vordem keine Zeit erforderlich gewesen war. Ich hatte mir das Erfolgreichsein nicht so zeitraubend vorgestellt, fand aber, dass jetzt der falsche Moment zum Blaumachen war. Man muss heuen, wenn das Wetter schön ist , hätte mein Vater vielleicht gesagt. – Aber diese Dinge erreichten ihn bereits nicht mehr. Erfolg? Misserfolg? Wen interessiert es.
    Als ich dem Vater nach Abschluss des Studiums gesagt hatte, dass ich Schriftsteller werden wolle, hatte er mich angeschaut, gegrinst und gesagt:
    »Der Finger in der Nase dichtet auch.«
    Ich erinnere mich deutlich, wo wir in diesem Moment gestanden sind, in der Werkstatt des Vaters vor dem Regal mit den Farben und Lacken. Der Vater besaß die Fähigkeit, solche Dinge auf eine Art zu sagen, dass ich ihm nicht wirklich böse sein konnte. Augenzwinkernd hatte er mir mitgeteilt, ich solle machen, was ich wolle, seinen Segen hätte ich – aber für ihn wäre das nichts.
    Im Frühling 2006 war ich fast ununterbrochen auf Lesereise. Sooft ich glaubte, es vor meiner Lebensgefährtin verantworten zu können, verbrachte ich die Wochenenden in Wolfurt, es drehte mich ganz schön herum. Oft fühlte ich mich wie zerrissen zwischen Liebesbeziehung,Familie und Beruf, manchmal empfand ich das eine als lästig, manchmal das andere. Weder war ich eine solche nomadenhafte Lebensweise gewöhnt noch konsequentes Zeit-Management, und das Übernehmen von Verantwortung hätte ich ebenfalls nicht zu meinen Stärken gezählt, ich hatte mich immer für einen verspielten Menschen gehalten, der den freien Weg über die Dächer nicht aufgibt. Was soll’s. Immer wieder bringen wir unser Leben in eine Form, immer wieder zerbricht das Leben die Form .
    Endlich, Anfang des

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