Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
war Gründungsmitglied des Fußballvereins, indem er als rechter Außenläufer spielte. Er leitete die Theatergruppe und inszenierte Nestroys Lumpazivagabundus . Er sang im Kirchenchor, wo die Frauen in der Überzahl waren. Doch Frauen stellten sich ihm als eher exotische Phänomene dar, an denen er kein Interesse zeigte. Für das nächste Jahrzehnt weiß niemand etwas von Schürzen in seinem Leben, außer der Schürze seiner Mutter.
Vielleicht hatte er nicht das Bedürfnis, seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen, vielleicht legte er wert auf seine Unabhängigkeit. Das Gewähren eines Kusses bedeutete für ein Mädchen damals etwas anderes als heute.
Nach einigen Jahren im Amt der Vorarlberger Landesregierung, wo er die Sachbearbeiterstelle der Benzinbewirtschaftung innehatte, wurde er 1952 Gemeindeschreiber in Wolfurt. Schreiber war wörtlich zu verstehen, da es im Gemeindeamt bis Mitte der sechziger Jahre keine Sekretärin gab. Das Büro des Vaters befand sich im Erdgeschoss der Dorfschule, in einer ehemaligen Schulklasse, ein riesiger Raum, viel zu groß, uralte Möbel, ohne Vorhänge. Dort saß er sommers in Lederhosen und barfuß in Sandalen, die er Kneiper nannte, mit zwei auf die Tasten niedersausenden Fingern tippte er auf der Schreibmaschine, und das Geräusch der Anschläge hallte in dem großen, leeren Schulraum. Wenn er bei offenem Fenster amtierte, war das Tippen bis hinaus auf die Straße zu hören. Dann hieß es:
»August klappert.«
Es habe eine aus dem Burgenland nach Vorarlberg gekommene Lehrerin gegeben, die Terusch gerufen wurde. Siehätte ihm gefallen. Aber der Dätt habe sich gegen Terusch gestellt, weil sie ein uneheliches Kind war, und mein Vater habe sich gefügt. – Die Geschichte ist schlecht belegt, keine sehr runde Geschichte, die Geschwister des Vaters wissen nichts davon, und ihn selber kann ich nicht fragen. Ich erwähne es also, ohne darauf zu bestehen.
Fest steht, dass der Vater zu dieser Zeit, Ende der fünfziger Jahre, auf dem Bühel über dem elterlichen Obstgarten ein Haus zu bauen begann. Den Bauplatz hatte ihm der Dätt bereitwillig überlassen, »weil dort oben kein Gras wächst«. Von da an verbrachte der Vater seine Freizeit auf der Baustelle, unweit der Kirche, wo ständig die bleiernen Vibrationsringe der Glockenschläge durch die Luft gingen.
In seinem Buch Die Herrschaft des Todes schreibt Robert Harrison, dass es in der abendländischen Philosophie eine alte Denktradition gebe, der zufolge eine Kenntnis von Dingen die Voraussetzung für ein Machen darstellt, wer also ein Haus bauen wolle, müsse wissen, was ein Haus ist, bevor er eines hinstelle. – Mein Vater wusste es so ungefähr , in Grundzügen, er plante alles selber, goss die Hohlziegel selber, machte die Elektroinstallationen selber und verputzte selber. Er habe gerne verputzt, sagte er. In solchen Dingen war er zu Hause .
Solide stand der Neubau über dem Obstgarten, in der Noblesse des frisch Gemachten und frisch Geweißelten. Rechts die Schweizer Berge, halbrechts das Appenzell, vorne das Dorf und Bregenz, links der Gebhardsberg und das schroff aufragende Känzele. Der Ausblick gab diesemOrt etwas Besonderes, etwas wie eine Aura. Viele Jahre später sollte mir der Vater auf die Frage, warum das Haus stehe, wie es stehe, zur Antwort geben, er habe es nicht nach der Sonne ausgerichtet, sondern nach dem Gebhardsberg.
Im Jahr 1963, im Alter von siebenunddreißig Jahren, heiratete er doch. Er trat vor den Traualtar mit einer jungen Lehrerin aus St. Pölten, die – nach seinen Maßstäben – kein Zuhause gehabt hatte. Ihr Vater, Heizer bei der Eisenbahn, im Krieg gefallen, das Kind nach dem Krieg in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, die Mutter Erzieherin in einem Kinderheim in Ybbs, da und dort Schneiderarbeiten, die Tochter, nachdem die Mutter wieder geheiratet hatte, zum Großvater nach Vorarlberg geschickt, wo sie eine Ausbildung zur Lehrerin machte. Ihre erste Stelle: Volksschule Wolfurt, Altes Schulhaus.
Meine Mutter war aus der Provinz in die tiefe Provinz gekommen, und dort, in den Tiefen derselben, machte sie nach eigenem Bekunden einen Fehler.
Was der Verstand beim Eingehen der Ehe zu wenig leistet, muss er während der Ehe gewöhnlich mit Wucherzinsen nachzahlen.
Von solch praktischer Ehewissenschaft waren meine Eltern weit entfernt. Da sie es zu Hause nicht vorgelebt bekommen hatten, gründeten ihre Vorstellungen von Partnerschaft vor allem auf Ahnungslosigkeit – und auf
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