Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
verlief das Leben in dem großen Haus auf dem Bühel in einigermaßen normalen Bahnen; wir gingen als normale Familie durch. Viele Stunden am Tag wurde musiziert,nach dem Mittagessen spielten die Kinder, die schon Karten halten konnten, mit den Eltern eine halbe Stunde Canasta. Noch vor dem Mittagessen liefen die Kinder zum Kirchplatz hinunter, um dort den für zwei Stunden vom Büro nach Hause kommenden Vater zu erwarten. Dann schien das ganze Dorf mild und freundlich, Essensgeruch zog durch die Gärten und Straßen, weil in fast allen Häusern um Schlag zwölf gegessen wurde. Der Vater setzte eines der Kinder auf den Gepäckträger, eines auf die Stange, allfällige weitere Kinder liefen neben dem Fahrrad her. Am Samstagnachmittag nahm er die Kinder mit auf den Fußballplatz. Sonntagsausflüge wurden gemacht. Toni, ein Bub aus dem Waisenhaus in Bregenz, verbrachte alle Ferien bei uns. Es gab einen vom Vater betreuten Gemüsegarten, einen von ihm betreuten Erdbeergarten, er machte Melissensirup und Holdersaft. Und als die Mutter sagte, es sei unmöglich, beim Baden am See auf vier Kinder gleichzeitig aufzupassen, beim nächsten Mal müsse der Vater mitgehen, baute er ein Schwimmbad.
Zuallererst habe er den verwegenen Plan verfolgt, das Schwimmbad auf das Dach der Garage zu setzen und es mittels einer Hängebrücke mit dem Balkon zu verbinden; an solchen Ideen mangelte es nie.
Trotz des Altersunterschieds spielte sich der Vater nie als Herr und Haushaltsvorstand auf, er war froh, wenn er nicht gefragt wurde. Es gab an ihm nichts Strenges . Nur im Haushalt half er nicht mit, obwohl seine Frau bald wieder zu arbeiten anfing. Er war fest überzeugt, dass es Männerarbeit und Frauenarbeit gibt, von Gottes und Rechts wegen.Aufräumen war Frauensache außer im Garten, Hämmern war Männersache außer beim Schnitzelklopfen.
Das Haus war eine endlose Baustelle aufgrund diverser Um- und Zubauten. Der Vater hörte nicht auf, über mögliche Verbesserungen im Haus und im Garten nachzudenken; diesbezüglich konnte man alles von ihm haben. Brauchte man ein Zimmer mehr? Würde eigentlich nicht schaden. – So entstand Wohnraum und gleichzeitig Fläche zum Verputzen.
Getrieben von ihrer Sehnsucht nach der Welt , begann die Mutter, im Sommer Zimmer zu vermieten, mit Vorliebe an deutsche und niederländische Urlauber, die sich strategisch klug zwischen Bodensee und Bregenzerwald einquartierten. Nachdem der Vater den Dachboden ausgebaut hatte, kamen ganzjährige Untermieter dazu, Lehrerkolleginnen der Mutter und junge Menschen, die keine großen Ansprüche stellten.
1977 bekam die Mutter dann die Welt . Wir hatten einen Untermieter aus Deutschland namens Pech, der Name passte, er hatte dunkle Haare und trug gern Schwarz. Was genau er beruflich machte, wusste niemand, aber er war herzlich und nett, wir Kinder aßen ihm seine Ovomaltine weg. Wenn wir zur Ministrantenstunde alte Illustrierte mitbringen sollten, kamen die anderen mit der Fernsehzeitung und der Stadt Gottes , ich brachte Stern und Spiegel , die der Untermieter regelmäßig zum Altpapier unter die Treppe warf – ich wurde wieder nach Hause geschickt mit dem Zeug . Eines Abends kam Pech vom Dachboden herunter, sagte, er müsse ausziehen, habe kein Geld für die letzte Miete, lasseaber das Radio und die Kochplatte da. Der Vater war einverstanden. Der Untermieter zog aus, einige Tage später stand die Polizei vor der Tür und fragte nach ihm, Verdacht auf Mitgliedschaft in der RAF. Wir sagten, er sei schon weg.
Zur gleichen Zeit wurde der Strumpffabrikant Palmers von Mitgliedern der Bewegung 2. Juni entführt – die nötigen Telefonate führte ein Vorarlberger, der aufgrund seines Akzents leicht als solcher zu erkennen war. In der Zeitung wurde eine Telefonnummer abgedruckt, unter der man die Stimme zwecks Identifizierung anhören konnte. Ich war neun Jahre alt und wählte die Nummer mehrmals heimlich, die Parolen kamen mir gespenstisch und spaßig vor, jedenfalls verstand ich nicht, worum es ging. Als sich herausstellte, dass es sich bei dem Anrufer um einen jungen Mann aus Wolfurt handelte, war die Aufregung perfekt. Die Mutter hatte ihn in der Schule gehabt, sie sagte, er sei ein sehr ruhiger und netter Bub gewesen, sie habe ihn gerne gemocht.
Vom Untermieter Pech hörten wir viele Jahre nichts mehr. Wir Kinder freuten uns, einen gesuchten Terroristen beherbergt und ihm die Ovomaltine weggegessen zu haben, wir dachten, Wolfurt sei das geheime Zentrum der RAF. Eines
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