Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
dem weit verbreiteten Übersehen des kleinen Nebenumstandes, dass einer den anderen nicht ändern kann. Charakter ist die härtere Währung als guter Wille.
Bezogen darauf, wie gut sie zusammenpassten, hatten sich die beiden grandios vergriffen, und es fällt mir dazu nichts Besseres ein als das, was Leo Tolstoi in Anna Karenina schreibt: jungen Leuten die Wahl des Ehepartners zu überlassen sei ungefähr so einsichtig, wie wenn man behaupte, geladene Pistolen seien ein geeignetes Spielzeug für fünfjährige Kinder. Das sagt die alte Fürstin.
Meinen Eltern war vor der Hochzeit nicht in den Sinn gekommen, darüber nachzudenken, was passiert, wenn zwei unterschiedliche Vorstellungen von Glück aufeinandertreffen. Die Zutaten für mögliches Glück brachten beide mit. Bei näherer Betrachtung zeigte sich jedoch, dass die Zutaten zu verschiedenen Arten von Glück gehörten, zu entgegengesetzten. Schließlich war jeder für sich unglücklich.
Beide konnten den Erwartungen des anderen nicht entsprechen, selbst die Art und Weise, sich mitzuteilen, war grundverschieden. Es gab einen unüberwindbaren kulturellen Bruch zwischen den Jahrgängen und Herkunftswelten, mein Vater aus einer bäuerlichen Großfamilie, meine Mutter aus einer proletarischen Rumpffamilie, er sozialisiert in der Vorkriegszeit, sie in der Nachkriegszeit, er gezeichnet von Krieg und Gefangenschaft, sie von Armut und Heimatfilmromantik, unterschiedliche Erwartungen, unterschiedliche Werte, unterschiedliche Empfindungswelten, er mit seiner Vorliebe für das Einfache und Karge, sie mit ihrer Vorliebe für das Sinnliche und Warme, er mit seiner Vorliebe für Geselligkeit, sie mit ihrer Vorliebe für Bildung. – Beispiele seiner Untauglichkeit für daskulturelle Leben musste der Vater immer wieder geben. Am nächsten Tag hieß es dann:
»August ist im 1. Akt eingeschlafen.«
Es war die perfekte Dissonanz der Lebensträume, bis auf den Wunsch, zu heiraten und Kinder zu kriegen. Ansonsten gestaltete sich das Zusammenleben Tag für Tag, als würden auf dem Turm zu Babel zwei Menschen verzweifelt aufeinander einreden und jeder in seiner eigenen Sprache sagen: Du verstehst mich nicht!
Als ich meinen Vater fragte, warum er meine Mutter geheiratet habe, sagte er, dass er sie sehr gemocht habe und ihr ein Zuhause habe geben wollen. Auch hier sein großes Thema: Zuhause, Sicherheit, Geborgenheit. In seinen Augen hatten diese Dinge außerordentlichen Wert. Verliebtsein ist schön, mag er sich gedacht haben, aber noch schöner ist es, zu wissen, wo man hingehört.
Meine Mutter indes suchte nicht Sicherheit und Geborgenheit, sondern Anregung. Sie war offen für die Welt und begierig nach Neuem . Eine Hochzeitsreise kam nicht in Frage, weil sie kein Geld hatten. Doch als mein Vater es ablehnte, einen als Hochzeitsreise deklarierten Spaziergang zu machen, war meine Mutter wie vor den Kopf gestoßen. Für den Vater musste die Erde nur deshalb groß und schön sein, damit nicht alle in Wolfurt herumrannten.
»Nicht einmal einen Spaziergang in den Wald!«, empörte sich die Mutter später oft. Und tatsächlich war diese Weigerung kein Ruhmesblatt. Der Vater wollte nicht für einen einzigen Tag in seinen Gewohnheiten gestört werden, alles,was den Alltagstrott unterbrach, war bei ihm negativ besetzt, selbst ein kleiner Ausflug am Samstag nach der Hochzeit.
Der Lebensplan: keine gewundenen, sondern gerade Linien.
Über eine Ehe zu schreiben, die gescheitert ist, mutet an, als kehre man kalte Asche zusammen. Für einige Zeit muss es den beiden gelungen sein, sich durch Kompromisse so etwas wie Seelenfrieden zu erkaufen. Sie lagen sich nicht in den Haaren, und mit der Geburt der Kinder kam es trotz aller Spannungen zu einem gewissen Gleichgewicht in der Beziehung. Meine Mutter sei mit den kurz hintereinander geborenen Kindern sehr glücklich gewesen, und auch die Versuche meines Vaters, ein guter Ehemann zu sein, liefen letztlich auf das Bemühen hinaus, in der Vaterrolle eine gute Figur zu machen; mit Erfolg. Das Glück mit den Kindern war etwas, das die Eltern teilen konnten. Aber als Liebesbeziehung war die Ehe ein hoffnungsloser Fall. Die so unterschiedlich gearteten Gefühle spielten den beiden einen Streich um den anderen, und es sieht so aus, als seien sie in ihren Haltungen nach und nach immer starrer geworden. Wenn man so komplett verschieden denkt, sieht man wohl irgendwann ein, dass es keinen Sinn hat zu diskutieren und Konzessionen zu machen.
Zunächst
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