Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
hat, den dafür mehrmals, einer der wenigen wichtigen Romane der Weltliteratur, in dem Liebe kein bedeutendes Motiv ist und umso bedeutender das Motiv der Selbstbehauptung. Sein erstes Auto, ein großes Cabrio, DKW, Baujahr 1934, taufte der Vater Robinson .Mit diesem Wagen fuhr er sogar für zwei oder drei Tage ins Südtirol, gemeinsam mit Freunden, das war noch im Jahr des Erwerbs, 1955, lange vor der Hochzeit.
Die achtziger Jahre schritten voran. Meine Eltern hatten sich nicht gerade zu Musterbeispielen häuslicher Eintracht entwickelt. Die Zeit hatte die Unterschiede zwischen ihnen eher vertieft als abgeschliffen. Es herrschte eine spürbare Missstimmung im Haus, und die Pubertät der Kinder trieb das Werk der Auflösung weiter voran. Und weil man immer davon ausgeht, dass Familie etwas Harmonisches ist, kam sich bald jeder wie ein Fremdkörper vor, und irgendwann war der Punkt erreicht, an dem sich alle isoliert fühlten, auf sich alleine gestellt, mit eigenen Dingen beschäftigt, die sonst niemanden etwas angingen.
Onkel Josef sagte einmal: »Bei uns daheim war auch vieles nicht recht. Wenn man ein Problem in der Schule hatte, erzählte man es nicht einmal dem Bruder. Und wenn man sich über etwas freute, versteckte man es und ging nach oben in die Kammer und machte dort Luftsprünge.«
Als Jugendlicher beurteilte ich die Situation zu Hause ähnlich. Heimisch werden konnte ich hier nur in einer demonstrativen Abgrenzung, und am Ende hatte jeder von jedem die Schnauze voll, jedenfalls soweit es mich betraf.
Als ich mit dem Gymnasium fertig war, hatte die Zerrüttung der Familie bereits spürbar auf die Geistesverfassung ihrer Mitglieder übergegriffen. Dieser Prozess war zumGlück nicht unumkehrbar, das zeigte sich, als sich die Zustände Jahre später wieder besserten.
Im Gedächtnis meines Vaters sind diese Dinge säuberlich ausgelöscht, bei mir wächst der Mohn des Vergessens im Moment noch zaghaft. Der Vater und die Mutter hatten während meiner Schulzeit einiges mit mir mitgemacht, darüber hinaus litt die Mutter immer stärker unter den Zwängen in ihrem Dasein. Wenn ich zurückdenke, wundert es mich nicht mehr, dass sie oft schlechte Laune hatte.
Bei meiner Feier zum Abschluss des Gymnasiums hatte es schon zu Hause einen Krach gegeben, und auf der Feier ärgerte es meine Mutter, dass ich von allen Schülern der einzige war ohne Hemd. Der Vater nahm mich zur Seite, setzte mir die Sachlage in seiner ruhigen Art auseinander und fragte, was ich davon halten würde, wenn er einem Kellner ein Hemd abkaufe. Um mir zu zeigen, wie ernst es ihm war, zog er seine Geldtasche (mit dem Foto) aus der Innentasche seines Jacketts, er habe genug Geld dabei, jeder Kellner habe ein Ersatzhemd im Schrank für den Fall, dass er sich beim Servieren anschütte. Ich solle es mir überlegen, es tue nicht weh. Ich schaute den Vater an, als sei er aus dem Mond gefallen, und schlug das Angebot aus, ich sagte, ich wolle nicht im Hemd des Kellners dastehen. Rückblickend muss ich allerdings anerkennen, dass der Vorschlag des Vaters ehrenhaft war, um Ausgleich bemüht.
Wenige Wochen später verließ ich Wolfurt und ging weg, um zu studieren.
Was ist dir das Wichtigste im Leben, Papa?
Das weiß ich nicht. Ich habe schon vieles erlebt. Aber wichtig?
Fällt dir etwas ein?
Wichtig ist, dass man um dich herum freundlich redet. Dann geht vieles.
Und was magst du weniger?
Wenn ich folgen muss. Ich mag es nicht, wenn man mich herumhetzt.
Wer hetzt dich herum?
Jetzt gerade niemand.
An kalten oder verregneten Tagen Ende der siebziger Jahre saßen wir in der Küche am Tisch und spielten das Spiel des Lebens , ein harmloses, auf ökonomischen Erfolg ausgerichtetes Brettspiel für Kinder ab dem zehnten Lebensjahr. Das Spielbrett war bedeckt mit bunten Zeichnungen, die sich auf Lebensalter und Lebensstationen bezogen, man drehte ein Glücksrad und folgte der Route, zu der einen das Glücksrad zwang: Ausbildung, Reisen, Heirat, Erfolg, mangelnder Erfolg, Häuser, die gebaut wurden, brannten wieder ab, berufliche Rückschläge, ein Ölfund, Fehlspekulationen, silberne Hochzeit, Pensionierung. Wir ahnten damals nicht, dass der Weg durch das Spiel ein Klacks war gegen das, was uns im Leben bevorstand. Auch hatten wir keine Vorstellung, wie sehr es tatsächlich oft Glückssache ist, ob einer zurückfällt oder nach vorne kommt.
Wenn jemand einen Unfall baute oder wegen Krankheit aussetzen
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