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Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil

Titel: Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil Kostenlos Bücher Online Lesen
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kenne deine unsauberen Spielchen.«
    Natürlich war mir bewusst, dass hier die Krankheit redete. Trotzdem war es oft bitter, zu Unrecht so angeschnauzt zu werden – und umso bitterer für Menschen, die fachlich unerfahren waren und meinen Vater weniger gut kannten und ihm weniger verpflichtet waren.
    »Geh weg! Wenn du mich nicht in Ruhe lässt, hole ich ein Gewehr und schieße dir den Arsch weg!«
    Das hatte er zu mir gesagt. Ich fand es zum Lachen, weil es mich an meine Kindheit erinnerte, als ich anderen mit meinem großen Bruder drohte. Aber die eine oder andere Betreuerin des Vaters tat sich schwer, aus solchen Sätzen nur die schlichte Botschaft herauszulesen, dass mein Vater in einer Welt aus fremden Gesichtern lieber in Ruhe gelassen werden wollte.
    Daniela war fast drei Jahre bei uns. Sie schwor bis zuletzt, dass sie so leicht keinen anderen Platz finden werde, an dem es ihr so gut gefällt. Für sie war der Vater ein zwar kranker, aber intelligenter und immer zu Späßen aufgelegter Mensch. Sein Gehirn spielte ihm zuweilen Streiche, doch sie kannte ihn lange genug, um zu wissen, er ist tatsächlich ein harmloser armer Schlucker .
    Alle drei Wochen musste Daniela abgelöst werden, damitsie nach Hause in die Slowakei fahren konnte. Unglücklicherweise schaffte es während zweier Jahre keine ihrer Kolleginnen, eine ähnlich gute Beziehung zum Vater aufzubauen. Diese Betreuerinnen blieben jeweils nur kurz, in den allermeisten Fällen konnte ich es verstehen.
    Denn allzu oft verhielt sich der Vater ablehnend und verweigerte sich von früh bis spät. Er neigte dazu, Menschen wegzuschicken, die ihm fremd waren und ihn verwirrten. Die meisten seiner Betreuerinnen redeten ihm zu viel und im falschen Tonfall, wie mit einem Kind. Und weil der Vater weiterhin eine beeindruckende Person war mit seinem großen Kopf und seinem ausdrucksstarken Gesicht, schüchterte er seine Betreuerinnen ein. Manchmal, wenn er sich bedrängt fühlte, schubste er sie weg.
    Da halfen keine Beteuerungen, der Vater sei eigentlich nett. Und es halfen auch keine Ratschläge, man solle ihm, wenn er schlecht drauf ist, aus dem Weg gehen.
    Das sagte sich leicht. Die Betreuerinnen waren keine gelernten Fachkräfte, und nicht jeder Mensch bringt die natürlichen Fähigkeiten mit, die im Umgang mit Demenz nötig sind. Eva, die jüngste Enkelin des Vaters, war das beste Beispiel. Sie kannte den Großvater nicht anders als mit Alzheimer, und die Zuneigung, mit der sie ihm begegnete, war von solcher Unbefangenheit, dass er ganz selbstverständlich darauf ansprach. Weil das Mädchen in ihrem Kopf frei war, war der Großvater es in ihrem Beisein auch.
    Ähnliches galt für Daniela. Sie hatte sich ebenfalls von Anfang an sehr gut mit ihm verstanden, sie ging völligentspannt mit ihm um, und er schien fast ein wenig verliebt in sie zu sein, jedenfalls verscheuchte er mich oft, wenn Daniela bei ihm war. Sie verstand es, ihm das Gefühl zu geben, dass er wichtig war. Sie gab ihm den Einkaufskorb zu tragen, ließ ihn ihr Fahrrad schieben, und er hatte ihr Deutsch beigebracht, sie stundenlang in Aussprache und Grammatik unterwiesen, während er gleichzeitig nicht die Namen seiner vier Kinder hätte nennen können. Auf die Frage, warum er sich so viel Mühe gebe, sagte er, er tue es, damit sie bei ihm bleibe.
    So war es wenigstens für die große blonde Frau aus Nitra in der Slowakei ein Grund zum Weinen, als im März 2009 die Entscheidung fiel, dass für den Vater die Zeit gekommen war, ins Heim zu übersiedeln. Anna hatte nach nur einem Dienst das Handtuch geworfen, und die Hoffnung, dass es sich zu Hause nochmals einspielen würde, befand sich nach den Erfahrungen des zurückliegenden Jahres fern aller Wahrscheinlichkeit. Die sich häufenden, von Verweigerung geprägten Tage waren der Strohhalm, der dem Kamel den Rücken bricht.
    Die Konvention verlangt, dass man ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn man beschließt, ein enges Familienmitglied ins Heim zu geben. Und natürlich verunsichert eine solche Entscheidung. Gleichzeitig schadet es nicht, Konventionen in Frage zu stellen. Das dörfliche Seniorenheim verfügt über qualifiziertes Personal unter guten Arbeitsbedingungen. Allfällige Probleme können untereinander besprochen werden. Dort kennt man den Vater, und nicht erst, seit er krank ist. Dort sieht man in ihm die ganzePerson, jemanden mit einem langen Leben, mit einer Kindheit und Jugend, jemanden, der den Namen August Geiger vor mehr als achtzig

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