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Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil

Titel: Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil Kostenlos Bücher Online Lesen
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Schlauch in die Nase, das wird ein wenig kitzeln.«
    Daraufhin habe der Großvater seine Schwiegertochter angeblickt, mehrfach genickt und in einer Mischung aus Empörung und Ernüchterung gesagt:
    »Da hast du’s – – sie kitzeln mich!«
     
    Die Großmutter von Tante Marianne sei ebenfalls dement gewesen und habe immer wieder gesagt:
    »In meinem Kopf ist es wie in einem Butterfass, es rührt und rührt, und trotzdem kann ich nie eine Butter herausnehmen.«
    Tante Marianne, das älteste von sieben Kindern, habe bei der Großmutter schlafen müssen, bis die Nana angefangen habe, nächtens seltsame Reden zu führen. Die Nana habe einen religiösen Wahn entwickelt. Einmal sei der Pfarrer auf Besuch gekommen, er sei ins Zimmer getreten, und die Nana habe gerufen:
    »Dieser wüste Pfarrer kommt mir nicht herein! Weiche Satan!«
     
    Katharina erzählt von ihrem Großvater, der ebenfalls dement war. Als der älteste Sohn mit dem Fahrrad zu Besuch gekommen sei, habe der Großvater einen unbeobachteten Moment abgewartet, habe sich zum Fahrrad geschlichen, sich hinaufgeschwungen und sei triumphierend davongefahren.
     
    Liliane erzählte von ihrer Mutter, die Alzheimer hatte. Hin und wieder habe die Mutter sie angeschaut und gefragt:
    »Bin ich schon gestorben?«
    Einmal habe die Mutter Liliane gebeten:
    »Bitte, wenn ich gestorben bin, sag es mir.«
    Liliane habe ihr versichert:
    »Natürlich, Mama, wenn du gestorben bist, werde ich es dir sagen.«
     
    Wolfgang erzählt, seine Großmutter sei steinalt gewesen und habe Stärkungsmedikamente bekommen. Im Kühlschrank habe sie eine Flasche Buerlecithin stehen gehabt. Nicht nur einmal sei sie zum Kühlschrank gegangen, habe unfehlbar nach der neben dem Buerlecithin stehenden Flasche Doornkaat gegriffen, sie aufgeschraubt und einen tiefen Schluck genommen. Sie habe gesagt: »Schmeckt heute komisch«, dann habe sie zur Vergewisserung einen zweiten Schluck hinterhergegossen.
     
    Norbert erzählt von einem Freund, dessen Mutter Alzheimer hat. Den Sohn erkennt sie seit längerem nicht mehr. Aber wenn er der Mutter ein Foto von sich zeigt, sagt sie: »Das ist mein Sohn!« Auch neue Fotos: »Das ist mein Sohn!« Die anwesende Person jedoch ist ihr fremd.
     
    Wilhelm erzählt von einem Freund, der über Jahre hinweg seine Fähigkeiten verlor, aber bis zuletzt um drei in der Früh zu seinem Schreibtisch kroch und dort – nichts mehr wusste. Und am Tag sei der Freund dann gesessen, habe Patiencekarten zusammengerollt und sie als Zigarren anzünden wollen.
     
    Ursula erzählt von ihrem Großonkel, August Fischer, einem Jahrgänger der Mutter meines Vaters. In seinen letzten Lebensjahren habe Ursula ihn gelegentlich aus dem Altersheim zu Sonntagsbesuchen ins Oberfeld geholt. Einmal, als es nach einigen Stunden Zeit zum Aufbruch gewesen sei, habe er gefragt:
    »Muss ich zurück ins Lager?«
    Dieser Großonkel war in meiner Kindheit eine Attraktion gewesen. Vorne an der Oberfeldgasse, Richtung Kirche, unmittelbar bevor die Straße steil zum Kirchplatz abfällt, hatte es einen Brunnen mit einem morschen Holztrog gegeben, in den unablässig Quellwasser gelaufen war. Der ledig gebliebene Großonkel hatte sich sommers wie winters in der Früh in diesen Brunnentrog gelegt, überzeugt, dass ihn diese Prozedur gesund erhalten werde. Tatsächlich erbte er nach dem Tod meiner Großmutter als letzter Überlebender des Wolfurter Jahrgangs 1898 die Jahrgängerkasse. Als Kinder hatten wir ihm auf dem Weg zum Kindergarten und zur Schule fasziniert dabei zugeschaut, wie er in dem immer kalten, aus dem Ippachwald herunterkommenden Quellwasser schnaubte und prustete.
     
    Christian erzählt von einer alten Nachbarin, die den Schalter für das Hoflicht nicht mehr gefunden habe. Daraufhin sei sie hinaus vor die Tür und habe die Lampe mit dem Gehstock heruntergeschlagen.

 
    Wieder einmal zog die Krankheit die Krallen ein.
    Der Vater zeigte keine Spur mehr von der Angespanntheit und Getriebenheit der zurückliegenden Monate, ich hatte täglich den Eindruck, er fühle sich wohl. Er war zu Scherzen aufgelegt, machte den Kasper, strahlte sein Gegenüber an, war aufmerksam und entgegenkommend.
    Seine Regungen kamen spontan und schnell, er wirkte in keiner Weise durch Medikamente hinuntergedimmt. Er ging positiv mit seiner Situation um, hatte Spaß an den eigenen Späßen und gab jedem, der wollte, gute Ratschläge. Zu Werner habe er gesagt:
    »Von mir kannst du nur lernen.«
    Wahrnehmungsstörungen

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