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Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil

Titel: Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil Kostenlos Bücher Online Lesen
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sympathisch, auch wenn ich dir das, was du mir erzählst, nicht glaube.«
    Sie bestand darauf, ihr Mann sei noch nie in Vorarlberg gewesen, und er könne auch kein Wort Deutsch. Sie wiederholte es zur Betonung: »Keines!« Mein Vater sagte:
    »Du bist mir eine sympathische Frau. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
    Danielas eigener Aussage zufolge war das Zusammensein mit dem Vater kein Problem. Sie sagte, man brauche vor allem Geduld. Wenn er nicht aufstehen wolle, habe sie Zeit, dann warte sie halt ein wenig. Und wenn er sich nicht rasieren wolle, macht nichts, eine halbe Stunde später habe er meistens vergessen, dass er sich eben noch geweigert habe. Sie habe vierundzwanzig Stunden Zeit zum Warten.
    Die meisten anderen Betreuerinnen kamen weniger gut mit ihm aus. Wenn er sich weigerte, wurden sie nervös. Der Vater nahm die Nervosität mit feinem Gespür wahr, dann wusste er die Fürsorglichkeit, die man ihm entgegenbringen wollte, in keiner Weise zu würdigen. Angesichts ziemlich entmutigender Vorfälle schaukelte sich das gegenseitige Unbehagen immer weiter hoch, und obwohl wir die Unterstützung durch die Familie in solchen Momentendeutlich verstärkten, gab es immer öfter Tage, an deren Ende alle reif für die Zwangsjacke waren. Ich selber hatte manchmal noch unter der Dusche das Gefühl zu rennen, und einmal, als ich am Kleiderkasten vorbeiging, hatte ich das Bedürfnis, mich hineinzusetzen. Wenn ich nachts mit heißen und schlaflosen Augen in die ungewisse Zukunft des nächsten Tages blickte, fiel mir die lateinische Redewendung nox est perpetua ein: die Nacht nimmt kein Ende.
     
    Zwischendurch kam immer wieder so etwas wie Hoffnung auf. Aber die Pausen zwischen den Knalleffekten wurden kürzer, da half kein Gegensteuern. In einem Klima des Unberechenbaren war die Spannung teilweise kaum zum Aushalten, es war schrecklich, dieses allseitige Leid mit ansehen zu müssen. Die verfahrenen Beziehungen zwischen dem Vater und einzelnen seiner Betreuerinnen lieferten der Krankheit zusätzliche Nahrung. Die Betreuenden stießen rasch an ihre Belastungsgrenzen, das wirkte sich negativ auf den Vater aus. Die Abwärtsspirale drehte sich.
    Es ging schon in der Früh los, man konnte ihm nichts recht machen, das erste, was der Vater sagte, war von der Art:
    »Wenn du wüsstest, wie ich hier misshandelt werde.«
    An dieser Tonlage änderte sich nichts für den Rest des Tages. Die Musik war etwas, das er ertragen musste. Das Mittagessen hatte eine Beschaffenheit, die ihm nicht gefiel. Er sagte:
    »Ich glaube nicht, dass ich das essen werde.«
    Einmal ging er nach dem Essen in die Laube und pinkeltein den Topf von Werners größtem Kaktus. Ich hörte es plätschern, eilte hinaus und rief, das dürfe er nicht tun. Er antwortete:
    »Natürlich darf ich. Das ist die Strafe für das, was sie mir antun. Sie hätten noch viel schwerere Strafen verdient.«
    Am schlimmsten waren die Nächte, in denen er aufwachte und seine Kinder zu suchen begann. Dieses Muster wiederholte sich mit überraschender und mir unerklärlicher Regelmäßigkeit. Der Vater war in diesen Situationen untröstlich, ganz elend, in tiefer Verzweiflung. Es war, als irre er im Krieg zwischen den zerbombten Häusern herum auf der Suche nach einem Lebenszeichen. Manchmal ließ er sich beruhigen, wenn man behauptete, die Kinder kämen in der Früh. Manchmal suchte er die halbe Nacht, bis er vor Erschöpfung einschlief. Am Tag ging die Suche weiter, vier kleine Kinder, die nicht in ihren Betten lagen, die sich nicht unter den Betten versteckten, die nicht in der Badewanne saßen und nicht in den Kästen hinter den Hemden kicherten. Der Vater war sehr unglücklich, keines der Kinder zu finden.
    Er sagte:
    »Sie wurden abtransportiert und sind nicht mehr gesehen worden. Ich habe lange nach ihnen gesucht, alle möglichen Stellen kontaktiert, um mir bei der Suche helfen zu lassen. Jetzt habe ich keine Hoffnung mehr, sie eines Tages wiederzusehen.«
    Auf meine Bemerkung, dass ich glaube, sie seien in Sicherheit, sie würden heiraten und eigene Kinder bekommen, sagte er:
    »Alles, was du sagst, ist möglich. Aber daran glauben tu ich nicht.«
    Er zog die Brauen zusammen, als wolle er sich auf etwas besinnen, dann zeigte er wieder mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf den Stubenschrank und mutmaßte, dass dies die Richtung sei, in die man die Kinder weggeführt habe.
    »Wo sie nur hingekommen sein mögen? – Die sind weg – die sind ab – die sind weg – die sind

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