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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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hängt, sagte der Engländer, sagte Reger, und der Engländer hielt mir noch einmal das aufgeschlagene schwarzlederne Buch vor die Augen. Es ist, als ob es nicht nur das gleiche, sondern absolut dasselbe wäre, sagte der Engländer, sagte Reger. Der Engländer stand von der Sitzbank auf und ging ganz nahe an den Weißbärtigen Mann heran und blieb eine Weile vor dem Weißbärtigen Mann stehen. Ich beobachtete den Engländer und bestaunte ihn gleichzeitig, denn ich hatte noch nie einen Menschen mit einer solchen geradezu übermenschlichen Beherrschung gesehen, sagte Reger, ich beobachtete den Engländer aus Wales und ich dachte, ich selbst hätte in Anbetracht einer solchen Ungeheuerlichkeit, daß nämlich im Kunsthistorischen Museum haargenau dasselbe Bild hängt, wie in meinem Schlafzimmer über meinem Bett in Wales, vollkommen die Beherrschung verloren. Ich beobachtete den Engländer, wie er ganz nahe auf den Weißbärtigen Mann zuging und ihn anstarrte, naturgemäß konnte ich, da ich ihn ja von rückwärts beobachtete, nicht von vorne sehen, sagte Reger zu mir, aber ich wußte natürlich, auch wenn ich ihn von hinten beobachtete, daß er den Weißbärtigen Mann anstarrte und zwar doch mehr oder weniger fassungslos. Der Engländer drehte sich lange Zeit nicht um und wie er sich umdrehte, war sein Gesicht kreidebleich, sagte Reger. Ein so kreidebleiches Gesicht habe ich in meinem Leben selten gesehen, so Reger, ein englisches schon gar nicht. Der Engländer hatte ja, bevor er aufgestanden war und den Weißbärtigen Mann angestarrt hatte, dieses typischegerbrote Engländergesicht , jetzt war sein Gesicht nurmehr noch kreidebleich, so Reger über den Engländer. Fassungslos ist nicht einmal der angemessene Ausdruck, sagte Reger über den Engländer. Irrsigler hat die Szene die ganze Zeit beobachtet, sagte Reger, schweigend war Irrsigler an jener Ecke gestanden, wo es zu den Veronese-Bildern geht, so Reger. Der Engländer setzte sich wieder auf die Bordone-Saal-Sitzbank, auf der ich die ganze Zeit sitzen geblieben war, und sagte, daß es tatsächlich ein und dasselbe Gemälde sei, nämlich das, das in seinem Schlafzimmer in Wales über seinem Bett hängt, und das hier an der Wand im Kunsthistorischen Museum im Bordone-Saal. Er logiere im Hotel Imperial , das ihm sein Neffe empfohlen habe, sagte der Engländer, sagte Reger. Ich hasse diesen Luxus, aber ichgenieße ihn gleichzeitig, wenn ich darauf Lust habe. Er steige nur in den besten Hotels ab, sagte der Engländer, sagte Reger, also selbstverständlich in Wien im Imperial, wie in Madrid im Ritz, wie in Taormina imTimeo . Aber ich verreise sehr ungern, nur alle paar Jahre einmal und meistens ist der Grund kein Vergnügen, sagte der Engländer, sagte Reger.

Es ist ganz klar, daß eines dieser Tintorettogemälde eine Fälschung ist, sagte der Engländer dann, sagte Reger, entweder ist das hier gefälscht, das hier im Kunsthistorischen Museum, oder meins, das über meinem Bett hängt in meinem Schlafzimmer in Wales. Eins von beiden muß eine Fälschung sein , sagte der Engländer und drückte seinen kräftigen Körper für kurze Zeit an die Bordone-Saal-Sitzbankrückenlehne; gleich richtete er sich aber wieder auf und sagte, da hat mein Neffe also doch recht gehabt. Ich habe meinen Neffen verflucht, denn ich war mir doch sicher, daß er mir einen Unsinn erzählt hat, wie es die Art dieses Neffen ist, mich nämlich von Zeit zu Zeit zu beunruhigen in irgendeiner Sache oder mich vor den Kopf zu stoßen; er ist übrigens mein Lieblingsneffe, obwohl er mir zeit seines Lebens auf die Nerven geht und im Grunde nichts wert ist. Aber er ist mein Lieblingsneffe. Er ist der fürchterlichste aller meiner Neffen, aber mein Lieblingsneffe. Er hat richtig gesehen, sagte der Engländer, tatsächlich, der Tintoretto hier ist mit meinem in Wales identisch. Aber es gibt zwei Tintorettos , sagte der Engländer dann und lehnte sich wieder an der Bordone-Saal-Sitzbank an, um sich gleich wieder aufzurichten. Einer von beiden ist falsch, sagte er, und ich frage mich natürlich, ist meiner falsch, oder der hier im Kunsthistorischen Museum. Möglich ist es ja, daß das Kunsthistorische Museum eine Fälschung besitzt und daß mein Tintoretto echt ist, das ist sogar, wie ich die Zusammenhänge meiner Glasgow-Tante kenne, wahrscheinlich. Schon kurz nachdem Tintoretto diesen Weißbärtigen Mann gemalt hat, ist dieser Weißbärtige Mann ja nach England verkauft worden, zuerst an die Familie

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