Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
die Stirn. »Ich hab halt altersbedingt noch ein gutes Gedächtnis. Ich war doch dabei, als die Polizei hier zuletzt mit dem Kratz gesprochen hat. Und da nannte der seinen vollen Namen. Jakob Israel Kratz.«
»Das ist erstaunlich.« Lorenz kraulte sich nachdenklich den Bart. »Israel ist der Zweitname, den die Nazis damals den Juden zwangsweise in den Pass geschrieben haben. Die Frauen hießen Sara, die Männer Israel. Es ist doch sehr verwunderlich, dass jemand diesen Zwangsnamen anschließend behält.«
»Das hat bestimmt eine Bedeutung«, grübelte Bärbel. »Dieser Herr Kratz ist ein außergewöhnlicher Mensch. Das spürt man.«
»Das mag sein«, bestätigte Lorenz. »Aber ich habe noch mehr erfahren: Die Schnittwunden, die der alte Floto auf der Stirn hatte, waren nicht zufällig, sondern sie bildeten die Buchstaben M und T. Und Kratz sagte, es sei unsinnig, dass ein Jude das Wort ›Meth‹ auf die Stirn dieses Mannes geschrieben haben soll. Das glaubt die Polizei nämlich.«
Gustav fragte: »Was soll das denn jetzt schon wieder? Ist Met nicht eine Art Honigwein?«
»Aber nicht in diesem Kontext«, antwortete Lorenz. »Ich hab natürlich gleich im Internet danach gesucht. ›Meth‹ ist hebräisch und wird übersetzt mit ›Tod‹. Und da im Hebräischen keine Vokale geschrieben werden, bedeutet MT eben Tod.«
»Aber das könnte demnach doch ein Jude geschrieben haben?«, meinte Benny. »Wer sonst, außer Opa Bertold natürlich, weiß denn so was?«
Lorenz grinste. »Ich weiß das auch nur aus Wikipedia. Und seltsam ist natürlich, dass die lateinischen und nicht die hebräischen Buchstaben benutzt wurden. Vermutlich meinte Kratz deshalb, dass ein Jude so etwas nicht tun würde.«
»Zudem es ohnehin blödsinnig ist, ohne Not so eine Spur zu hinterlassen«, ergänzte Gustav.
»Es sei denn, man will bewusst eine Spur legen«, meinte Bärbel.
»Die dann natürlich falsch ist«, kommentierte Lorenz. »Das ist alles sehr seltsam. Wir werden mal ein offenes Wort mit diesem Jakob Israel Kratz reden müssen. Das dürfte aufschlussreich sein.«
»Das denke ich auch«, meinte Gustav. »Würde mich nicht wundern, wenn der alte Floto während des Dritten Reiches einiges auf sein Kerbholz geschnitzt hat. Wenn eine Nazijägerin aus Amerika hier aufkreuzt und mit einem deutschen Juden zusammenarbeitet, hat das sicherlich mit dem Tod eines Altnazis wie Floto zu tun. Zumal, wie wir wissen, die beiden sich kannten und sich offenbar nicht riechen konnten. Nicht weiter verwunderlich nach allem, was wir jetzt schon wissen. Es wundert mich aber schon ein wenig, dass sowohl Kratz als auch Wilke auf freiem Fuß sind.«
»Unser lieber Paul steckt mit denen zusammen«, meinte Lorenz. »Der hat da offenbar die Hand drauf.«
»Ach, daher weißt du das alles«, sagte Bärbel.
»Nicht so, wie du denkst«, entgegnete Lorenz. »Ich habe die drei belauscht, und als Paul mich entdeckt hat, war Schluss mit lustig. Freiwillig sagt der Herr Kriminalhauptkommissar mir nämlich gerade mal gar nix.«
Benny lachte. »Ist doch logisch. Sonst würde Rita ihm den Hosenboden strammziehen. Und nicht auf die nette Art.«
Lorenz winkte ab. »Wie dem auch sei. Wir haben eine Menge Spuren. Mit den Neonazis und den Linken und dem, was die jungen Leute heutzutage so machen, kenn ich mich grad mal gar nicht aus. Aber ich kenne jemanden, der uns da vielleicht helfen kann.«
»Und wer wäre das?«, fragte Bärbel.
»Ich kenne einen Pfarrer, den Werner Friesdorf aus Kommern, der als Schulseelsorger in einem Internat in Füssenich arbeitet. Der kennt sich damit aus. Glaub ich zumindest, wenn ich mich an unser letztes Gespräch erinnere. Da wusste er etwas über jüdische Friedhöfe in der Eifel und über Antisemitismus bei Jugendlichen. Den werde ich mal wieder besuchen. Kann sowieso nicht schaden.«
Eine Pause entstand, in der keiner den Faden weiterspinnen wollte.
Schließlich stand Lorenz auf und reckte sich. »Kinder, ich bin müd. Und irgendwie auch ein bisschen kraftlos.«
Bärbel erhob sich ebenfalls und legte einen Arm um ihn. Es kam Lorenz so vor, als wolle sie ihn küssen. Er zog seinen Kopf zurück und löste sich aus Bärbels leichter Umarmung. Sie spürte seine Zurückhaltung und sah ihn fragend an. »Was ist los?«
Lorenz meinte: »Bist du da bei Gustav nicht besser aufgehoben?«
Bärbel schaute ihn überrascht an. »Wie meinst du das?«
Lorenz druckste herum. Er merkte, dass er etwas nicht unbedingt Sinnvolles gesagt hatte.
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