Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
im Hauptausschuss. Früher auch in diversen anderen Gremien.«
»Also jemand, der wusste, was hier politisch vor sich ging«, schloss Lisa.
»Könnte man so sagen«, antwortete Drechsler.
»Nun gut.« Paul wandte sich zur Tür. »Wir wollen Ihre kostbare Arbeitszeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen.« Als er den Ausgang beinahe erreicht hatte, drehte sich Paul nochmals um. »Ach, Herr Kellermann – noch eine Frage: Sind Ihre Gäste am Sonntagabend gekommen?«
»Ja, und ich gebe Ihnen gerne eine Liste der Namen, wenn ich ein Alibi brauchen sollte, Herr Kommissar.«
»Hauptkommissar, um genau zu sein. Und ja, die Liste hätte ich gerne – mit der jeweiligen Uhrzeit des Eintreffens und wann die Leute Ihr Haus wieder verlassen haben – wenn es nichts ausmacht.« Mit diesen Worten war Paul hinaus. Lisa Wilke folgte ihm und schloss die Tür hinter ihnen.
Als sie hinausgingen, meinte Lisa: »Sie haben diesen Kellermann ja ganz schön rangenommen. Kommt er denn tatsächlich als Tatverdächtiger infrage?«
»Kaum«, antwortete Paul. »Sein Alibi scheint in Ordnung. Aber Politiker, ob in Berlin, Düsseldorf oder Nideggen, haben für mich alle Dreck am Stecken. Jeder weiß mehr, als er sagt, und wenn diese Leute etwas sagen, verstehen sie nicht allzu viel davon.«
»Und was haben wir jetzt?«, fragte Lisa.
»Erst einmal habe ich großen Hunger. Und was den Kreis der möglichen Täter angeht, ist dieser verdammt klein. Und ob es Ihnen nun gefällt oder nicht: Der einzige plausible Verdächtige ist momentan Ihr Freund Jakob Kratz. Er ist einer der wenigen überlebenden Nideggener Juden und muss einen Hass auf alle Nazis haben. Ich an seiner Stelle hätte den Floto wahrscheinlich auch erschlagen.«
18. Kapitel
Die dunkle Limousine rollte leise auf den Parkplatz des Sanitätshauses Floto. Der Mann, der auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, sagte dem Fahrer im Weggehen: »Warte hier, es wird nicht lange dauern.«
Er musste nicht klingeln, denn er war schon erwartet worden.
»Heil Hitler, Kamerad«, wurde er an der Tür von Hermann Floto begrüßt.
»Guten Abend, Hermann«, sagte Albert Finkel und trat ein. Er ging den Flur entlang bis zu dem Büroraum, in dem Floto seinen Arbeitsplatz hatte. Er war nicht das erste Mal in diesen Räumen und kannte sich aus. »Hermann, bist du allein?«
»Klar, Albert«, antwortete Floto. »Es ist schon nach acht. Um diese Zeit sind alle Mitarbeiter längst weg. Sogar meine Frau, die geht jetzt jeden Abend in die Kirche und betet für meinen Vater, stell dir das vor. Ich weiß, das muss ich ihr austreiben, denn ...«
»Lass nur«, unterbrach Albert Finkel ihn und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Mit solchen Nebengeräuschen solltest du dich nicht abgeben. Nicht in diesen Zeiten, in denen wir mehr denn je zur Wachsamkeit aufgerufen sind.«
»Wem sagst du das, Kamerad«, antwortete Floto. »Mein Vater wurde erschlagen wie ein Hund. Diesen Judensäuen werden wir das Handwerk legen. Ich darf doch auf die Hilfe der Kameradschaft zählen?«
»Zunächst einmal möchte ich dir im Namen der Partei und der Kameradschaft Aachener Land unser Beileid aussprechen. Dein Vater war ein Vorbild für viele. Sein Tod wird nicht ungesühnt bleiben, dessen sei versichert.«
»Das will ich meinen«, sagte Floto und entnahm einem kleinen Kühlschrank zwei Flaschen Bier. »Seine Mörder müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Polizei jagt immer die Falschen, und die Behörden sind ohnehin alle von Juden und Kanaken unterwandert. Wenn ein deutscher Veteran nicht mal mehr auf unseren Straßen sicher ist, wem kannst du dann noch trauen?«
»Wir können nur uns selbst trauen«, entgegnete Finkel. »Ich versichere dir, die NPD steht für ein Deutschland, in dem so etwas nicht mehr passiert. Aber bis es so weit ist, muss noch viel Disziplin aufgebracht werden. Auch von dir, Hermann.«
»Selbstverständlich«, meinte Floto und drückte Albert Finkel eine Flasche in die Hand. Die beiden prosteten sich zu. Floto nahm einen langen Zug, während Finkel die Flasche nach einem kleinen Schluck wieder von den Lippen nahm. »Disziplin bewahren, heißt in dieser Situation Ruhe bewahren, Hermann«, fuhr Finkel fort. »Ich muss dich ermahnen, keine voreiligen Aktionen durchzuführen, die der Sache schaden könnten.«
»Was meinst du?«, fragte Floto. »Einen Mörderjuden zu richten, das ist doch im Sinne unserer Sache.«
»Du hast doch keine Ahnung, Kamerad. Ich versichere dir, es gibt übergeordnete
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