Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
und bedeutete dieser, mit dem Mädchen vorauszugehen. Dann antwortete er: »Den einen Kerl mit dem Arm in der Schlinge habe ich vor ein paar Tagen vernommen. Er ist der Antifa-Aktivist, der beim Angriff auf Jakob Kratz verletzt wurde.«
»Der ist halt politisch interessiert. Kann man ja verstehen, dass die Linken die ehemalige Naziburg besuchen. Und dieser alte Weißkopf?«
Paul schüttelte den Kopf. »Den habe ich noch nie gesehen. Aber da war noch ein anderer Typ dabei, den ich aus Aachen kenne – und das macht mich stutzig.«
Benny, Gustav und Lorenz hielten inne und schauten Paul erwartungsvoll an. Der Kommissar stockte einen Moment, dann sagte er: »Ach, was soll’s. Ihr gebt sowieso keine Ruhe, bis ihr das herausbekommt. Der Typ ist Albert Finkel, ein in Aachen bestens bekannter NPD-Politiker.«
Lorenz stieß einen Pfiff aus. »Mein lieber Scholli. Ein Neonazi macht einen Ausflug zu Hitlers Ordensburg mit einem Antifaschisten. Das nenne ich politische Toleranz.«
»Eben. Und weder die Antifa noch die NPD sind tolerant. Das stinkt gewaltig.« Paul ging grübelnd weiter.
Lorenz wusste, dass der Kommissar ihm nicht verraten würde, was er über die Männer ansonsten wusste. Leise murmelte er: »Aber Kommissar Wollbrand konnte sich auch so denken, dass sein junger Kollege die Aussage des Antifa-Aktivisten nochmals einer strengeren Betrachtung unterziehen würde.« Dann schritt er bedächtig den anderen hinterher.
Der Weg hinauf zur obersten Ebene der Ordensburg war steil, und so ließ er sich Zeit. Die hatte er eigentlich nicht, wie er mit einem Blick auf seine Uhr feststellte, denn in diesem Moment wurde es vierzehn Uhr, und genau jetzt sollte der Vortrag beginnen, zu dem er mit Werner Friesdorf verabredet war. Als er oben mit den anderen wieder zusammentraf, sah er den Pfarrer auch schon am Eingang zum Infobereich stehen. Er winkte ihn heran und stellte ihn den anderen vor.
Werner Friesdorf meinte: »Es wäre ja schön, wenn wir alle miteinander in den Vortrag gehen könnten. Leider ist der Raum bereits voll besetzt, und ich habe auch nur den Herrn Bertold angemeldet.«
»Das macht gar nichts, Herr Friesdorf«, sagte Bärbel. »Hier gibt es so viel zu sehen, und gleich startet eine Führung, ich glaube, da können wir noch mitgehen. Lorenz sagte, der Vortrag dauert etwa anderthalb Stunden?«
»Genau«, antwortete der Pfarrer.
Lorenz meinte: »So, dann wollen wir mal«, und zog Friesdorf mit sich fort. Er war froh, nun keine Unterhaltung mehr führen zu müssen, denn er war immer noch vollständig mit dem beschäftigt, was er eben erfahren hatte: Pauls Beobachtung – Neonazis und Antifaschisten gemeinsam auf der ehemaligen Ordensburg unter dem Reichsadler, dort, wo früher unter den Krallen des deutschen Wappentieres ein Hakenkreuz im Eichenlaubkranz geprangt hatte. Und dann war da noch Bennys verrückte Geschichte, die ihn aus irgendeinem Grunde, den er noch nicht verstand, mehr fesselte, als er es anfangs gedacht hatte.
Der Seminarraum war tatsächlich voll besetzt. Die freundliche Sommerwärme, die draußen durch die frische Eifelhöhenluft sanft gekühlt wurde, staute sich hier, zusammen mit der Körperwärme der Anwesenden, zu einer unangenehmen Hitze. Es dauerte eine ganze Weile, bis er den durchaus interessanten Ausführungen des Referenten zu folgen vermochte. Außer ihm waren die meisten Besucher Lehrer, die ein Verständnis dafür zu erlangen suchten, wie sich Rechtsradikale in diesen modernen Zeiten ausdrückten, woran sie sich erkannten. Er hörte grauenhafte Musik, sah verwirrende Filme, mit denen sich die Neonazis aller Couleur auf ihren Internetseiten darstellten, und lernte etwas über deren Kleidung. Er erntete Gelächter, als er plötzlich ausrief: »Das kenn ich!«, als der Referent die Modemarke Consdaple vorstellte. Achselzuckend fügte er hinzu: »Das hat mein Pfleger mir erklärt«, worauf die Heiterkeit im Auditorium noch zunahm. Am Ende des Vortrags war Lorenz sehr heiß, und er war sehr müde. Und er hatte einmal mehr gelernt, dass es lange nicht mehr so leicht wie früher war, anderthalb Stunden still auf einem unbequemen Stuhl zu sitzen und jemandem konzentriert zuzuhören. Er war froh, als er aufstehen durfte.
Werner Friesdorf stellte ihm den Referenten vor: »Das ist Herr Dr. Thomas Pfeiffer von der Abteilung Verfassungsschutz des Innenministeriums NRW. Herr Pfeiffer, das ist Lorenz Bertold, ein alter Bekannter, der mehr über den Antisemitismus in der hiesigen Gegend
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