Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
von der Gestapo festgenommen und in einem dunklen Keller gefoltert. Die Nazis machen medizinische und psychologische Tests mit ihm, und – das ist das Schrägste – sie wissen durchaus, dass sie den echten Hitler vor sich haben. Aber sie wollen ihn nicht, sie können ihn nicht mehr gebrauchen. Hitler wird liquidiert. Der letzte Satz, den der Reichskanzler Braun im Folterkeller zu ihm sagt, ist: Ihre Existenz ist ärgerlich und kontraproduktiv, Herr Hitler.«
Lorenz nickte anerkennend. »Alle Achtung, auch wenn du offenbar ohne deine überschäumenden Phantasmen nicht auskommst – die Geschichte hat was. Da kann sogar Jessica was draus lernen, oder, mein Kind?«
Das Mädchen lächelte und zuckte mit den Achseln. »Weiß nicht.«
»Na ja«, meinte Paul. »Das ist ja auch nicht ganz so einfach. Lasst uns mal einen Rundgang machen. Dabei können wir dann auch Bennys Geschichte ein wenig sacken lassen.«
Sie gingen unter dem hoch aufragenden Turm, der die Szenerie beherrschte, den terrassenförmig gestuften Hang hinab, und gelangten an ein monumentales Relief, das einen nackten Riesen zeigte, der eine Fackel in der Hand hielt. »Das ist der Fackelträger auf dem Sonnwendplatz«, las Jessica von einer Hinweistafel ab.
»Den hat’s aber ziemlich erwischt«, kommentierte Gustav und spielte damit auf die vielen Einschusslöcher an, die die Figur aufwies.
»Klar«, meinte Lorenz. »Als die Alliierten das Gelände besetzt hatten, machten sich die Jungs bestimmt hier einen Spaß mit Zielübungen.«
Bärbel lachte. »Und man sieht auch, welche Körperpartie das beliebteste Ziel abgegeben hat.«
»Aber bitte, es sind Kinder zugegen«, mahnte Gustav grinsend.
Bärbel setzte sich am Fuße der Figur auf den von der Sonne erwärmten Stein und öffnete ihren Rucksack. »Und wer hat Lust auf ein Picknick?«
Schnell hatten sich alle um sie versammelt. Bärbel verteilte Plastikteller und öffnete diverse Tupperdosen.
»Du denkst ja wirklich an alles«, meinte Benny und wollte sich über das Essen hermachen.
Lorenz hielt ihn auf: »Moment, mein heißhungriger Jüngling. Willst du nicht vorher ein Gebet sprechen?«
Als er das erschrockene Gesicht Bennys sah, konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen. »War nur ein Scherz, keine Angst. Aber bei der Gelegenheit will ich euch das Lieblingstischgebet meines Vaters von damals nicht vorenthalten. Er betete oft im Scherz: Lieber Führer, gib uns nicht nur trocken Brot und Hering, sondern was du frisst und Hermann Göring!«
Sie lachten und begannen zu essen. Bärbel hatte einiges aus der Küche der Seniorenresidenz mitgehen lassen. Frikadellen, hart gekochte Eier, Nürnberger Würstchen, Karotten, Lauchstangen und sogar Dips. Natürlich durfte auch der Monschauer Senf nicht fehlen. Sie ließen es sich in der Sonne schmecken und vergaßen in ihrer unbeschwerten Heiterkeit völlig, an was für einem Ort sie sich gerade befanden. Als Jessica die anderen mit dem ständig wiederholten Wunsch, den Turm der Ordensburg zu besteigen, zu nerven begann, packten sie alles ein und traten den Rückweg zum Adlerhof an. Auf einer Zwischenebene, unterhalb des Adlerhofs, stand eine Gruppe von Männern unter einem großen, in das Mauerwerk einmodellierten alten Reichsadler.
Paul sah die Gruppe und stutzte, was Lorenz sofort auffiel. »Was ist los?«
Paul raunte zurück: »Dort hinten unter dem Adler. Siehst du die Männer dort stehen? Einen davon kenne ich.«
Bärbel, die das kurze Gespräch mitgehört hatte, nahm ihr Mobiltelefon und begann, damit Fotos von den Männern zu schießen. Diese schienen davon nicht sehr angetan zu sein. Lorenz spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten, und er überlegte, wie die Situation zu retten sei. Doch Bärbel war gewiefter, als er gedacht hatte. Sie rief den Männern zu: »Ach, entschuldigen Sie bitte, würde es Ihnen etwas ausmachen, einen kleinen Schritt zur Seite zu treten? Ich möchte die Mauer mit diesem Adler gerne fotografieren!«
Die Männer entspannten sich und gingen, wenn auch etwas unwillig, einige Schritte weiter. Lorenz betrachtete die Gruppe möglichst unauffällig. Ein großer, weißhaariger Mann wurde umringt von einigen anderen Männern, von denen einer den Arm in einer Binde trug. Dieser äugte mit einem aggressiven Gesichtsausdruck zu ihnen herüber. Paul zog Jessica schnell mit sich fort, und die anderen folgten ihm.
Als sie außer Hörweite waren, fragte Lorenz: »Paul, wer waren diese Leute?«
Paul trat mit Jessica zu Bärbel
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