ALTEA (Sturmflut) (German Edition)
nur für den Bruchteil einer Sekunde, doch ich erkannte, dass er alarmiert war. Er wusste, was ich bemerkt hatte und es bestätigte meinen Verdacht: Ich sollte es nicht sehen und auch keine Fragen stellen, denn er öffnete die Tür vor mir, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Wieder spürte ich Hände auf meinen Schultern. Es war Radu der mich sanft in das Innere des Gebäudes schob. Diesmal brannte in mir der Wunsch mich dagegen zu stemmen, doch ich tat es nicht. Der Wunsch das Innere zu sehen, war immer noch etwas größer als mein Entsetzen. Ich war mir vollkommen sicher, dass zumindest Radu auch bemerkt haben musste, was hier los war. Entweder irrte ich mich oder er hatte aus irgendeinem Grund beschlossen, es zu ignorieren. Schon die ganze Zeit reagierte er erstaunlich gelassen auf alles um uns herum. Ich musste so dringend unter vier Augen mit ihm sprechen.
Drinnen, erwarteten uns meine schlimmsten Befürchtungen. Direkt am Eingang standen schwer bewaffnete Soldaten. Auf den ersten Blick sah ich acht. Als mein Blick durch den Eingangsbereich wanderte, sah ich noch fünf weitere. Das Innere des Komplexes glich einer kleinen Stadt für sich selbst. Häuser in einem Betonquader versteckt. Auf fünf weiteren Ebenen über unseren Köpfen, befanden sich Wege und Eingänge zu weiteren Gebäuden. Zwischen den Häuserschluchten führten kleine Brücken hin und her. Es war bizarr. Wie aus einem alten Science-Fiction-Streifen. Es gab nur wenig Licht. Die Schlitze im massiven Betonmantel ließen gerade genügend Sonnenstrahlen hinein, um den Eindruck einer ewig andauernden Abenddämmerung zu geben. Auf den ersten Blick war zu erkennen, dass alle Häuser aus einfachsten Materialien zusammengebaut waren. Sie wurden nur provisorisch verputzt und nicht angestrichen. Alles war grau und der Anblick war mehr als erdrückend. Ich hatte das Gefühl eingeengt zu sein, obwohl um mich herum viel Raum war. Die Luft roch modrig und unter uns befand sich nicht einmal Asphalt oder ähnliches. Es war einfach nur nackter, plattgetretener Boden. In den schwach beleuchteten Fenstern sah ich die eingeschüchterten Gesichter von Menschen. Sie starrten zu uns raus, aus ihren Behausungen, die ich nicht einmal im Traum ein Zuhause nennen konnte. Zu unpersönlich waren sie. Zu trist. Die Gesichter der Leute sahen mehr ängstlich als neugierig aus. Ich war in meiner Bewegung erstarrt und mich überkam das Gefühl, gefangen zu sein in einem Alptraum. Wie konnten sie die Menschen so leben lassen und es uns auch noch stolz präsentieren? Das war einfach schrecklich. Sie waren genauso wie ich, aus Europa geflohen, haben dabei vermutlich die grausigsten Dinge durchstehen müssen und unaussprechliches gesehen und das war es, was sie erwartete. Das war also die ‚Freiheit‘. Nicht mehr als ein Flüchtlingslager, in dem sie gesammelt und vom Rest der Bevölkerung fern gehalten wurden. Sofort überkam mich eine Welle von Gewissensbissen, denn verglichen mit den Menschen hier, war mir wirklich eine Sonderbehandlung zu Teil geworden. Ich hatte keine Ahnung von all dem und nun wusste ich es, konnte aber nichts tun um ihnen zu helfen. Sie würden weiterhin hier bleiben, denn sie konnten und durften nirgendwo anders hin.
„Für provisorische Unterkünfte gar nicht schlecht, nicht wahr?“ ich spürte Emils Blick auf mir, während er zu mir sprach, doch ich konnte ihn nicht erwidern. Ich war nicht einmal in der Lage, etwas zu sagen. Sprachlos stand ich nur so da und starrte das alles vor mir an. Es war kalt und es war schmutzig. Jedes neue Detail, das mir ins Auge fiel, war wie ein Messerstich in mein Herz. Ich war naiv gewesen. Nun hatte ich nicht das Gefühl die Menschen aus Europa retten zu müssen, sondern auch die Flüchtlinge aus diesen Barracken. Gab es denn wirklich nirgendwo einen sicheren und schönen Ort für uns zum Leben? Musste immer alles ein Kampf eine Erschwernis sein?
„Also, wenn sie mich fragen, ist das hier ein Witz!“
Mein Blick schnellte zur Seite. Es war mal wieder Veit, der einfach ehrlich und gradeheraus gesagt hatte, was er wirklich dachte. Emil drehte sich zu ihm und sagte einige Sekunde lang nichts. Dann war es wieder da, das merkwürdige, arrogante Lächeln auf seinem Gesicht.
„Nun, es überrascht mich nicht, dass es auf manche Menschen so wirkt, aber ich gebe zu bedenken, dass wir hiermit unseren guten Willen präsentieren.“ Stellte er mit selbstsicherem Ton
Weitere Kostenlose Bücher