ALTEA (Sturmflut) (German Edition)
war. Diesmal ging es um mehr, als nur private Gedanken, es ging um die komplette Wahrheit und genau diese, sollte ich schließlich nicht herausfinden. Das ließ man mich überdeutlich spüren.
Nach einer Weile kam mir eine andere Idee. Ich hoffte, es würde auch klappen.
Als Letztes ging es wieder ins IT-Lab. Wie ich vermutet hatte, waren Aljoscha und ich dort allein. Ich setzte mich an den Monitor und fing an, doch anstatt die Simulation zu bearbeiten, überprüfte ich, ob ich eine Verbindung zum zentralen Steuerungssystem der Militärbasis herstellen konnte. Ich musste gar nicht lange suchen. Minuten später, hatte ich alle Kameras, Mikrofone, elektronischen Türen und die Hauptbeleuchtung in unserem Trakt abgestellt. Nur noch das blasse Licht der Monitore erhellte den Raum. Die vielen Testdurchläufe hätten ihnen eigentlich klar machen müssen, wie leicht ihr System im jetzigen Zustand für mich zu manipulieren war. Trotzdem waren die Sicherheitsvorkehrungen geradezu lächerlich minimal. Sie hatten wohl nicht damit gerechnet, dass ich meine Fähigkeiten einmal gegen sie verwenden würde. Immerhin gab es eine ‚Übereinkunft‘. Ich spürte einen Moment der Genugtuung, nach all der Frustration der letzten Tage. Ich drehte mich zu Aljoscha, der sich mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck umsah.
„Nette Stimmungsbeleuchtung. Soll ich uns eine Flasche Schampus besorgen?“
„Schluss mit den Witzen. Wir müssen reden.“ Sagte ich ernst. Obwohl ich es gar nicht wirklich wollte, hatte ich das Gefühl nur ernsthafte Worte würden dieses Gespräch voranbringen. Aljoscha verlor sein Lächeln nicht, seine Augen wurden nur eine Spur konzentrierter. Ich wusste, ich hatte jetzt seine volle Aufmerksamkeit.
„Es gibt da ein paar Dinge, die mich schon länger beschäftigen und ich will ehrliche Antworten von dir.“ Meine Hände fingen wieder an zu zittern und auch meine Stimme verlor mit jedem Wort an Kraft. Ich wollte Antworten, doch ich fürchtete mich auch vor ihnen.
„Okay, nur zu. Frag.“ Er kam ein paar Schritte näher. Ich nahm allen Mut zusammen und fing einfach an zu reden.
„Hast du während deiner Zeit bei den Schutztruppen den Befehl zum Töten gegeben?“
„Selbstverständlich.“ Sagte er geradeheraus. Ich war so geschockt von Aljoschas direkter Ehrlichkeit, dass meine frisch aufgesetzte Abgeklärtheit sofort wieder verschwand. Mein Unterkiefer fiel einfach nach unten und meine Unterlippe fing zu zittern an.
„Und bevor du noch weiter fragst: Ja, ich habe auch selbst Menschen getötet. Einige von ihnen hatten es vielleicht verdient, der größte Teil mit Sicherheit nicht. Ich habe mir durch Gehorsam einen Namen gemacht und bin so zu Kahrgins engsten Vertrauten geworden. Ich habe viele Entscheidungen getroffen, die jeder Mensch, mit auch nur ein wenig Verstand, verachtenswert finden würde. Ich habe all das getan, um in die Position zu kommen, in der du mich kennengelernt hast. Nur so war ich sicher genug, um als Spion so operieren zu können, wie man es von mir erwartete und wie man es mir befohlen hatte. Ich weiß, nichts davon ist auch nur irgendwie durch eine Ausrede zu entschuldigen und ich werde dich auch nicht darum bitten.“
Sein Blick blieb völlig ernst, während die letzte Insel der Sicherheit unter meinen Füßen wegbrach. Das war es also. Die ganze Wahrheit über den Mann, dem ich mein ganzes Vertrauen geschenkt hatte. Es war alles wahr und er versuchte nicht einmal es abzustreiten. Dumme, leichtgläubige Milla. Mich ergriff eine Abwärtsspirale der Emotionen, während mein Verstand verzweifelt nach Halt suchte. Unsinnigerweise wünschte ich mir, er würde sich rechtfertigen. Alles relativieren, damit ich weiter in dieser Scheinwelt verbleiben konnte. Um in meinem Kopf alles wieder so zurechtzulegen, dass ich mir einreden konnte, es wäre alles nicht so schlimm. Doch so war Aljoscha nicht und ich hatte mein ganzes Leben in einer Scheinwelt gelebt und es immer gehasst. Jedoch verstand ich nun, warum sich so viele nicht dagegen gewehrt hatten und es sogar verteidigten. Wenn es einen vor einer unerträglich grausamen Realität bewahrte, war man geneigt daran festzuhalten. So irrsinnig es auch war.
„…Wieso…?“ Fragte ich verzweifelt. Dabei starrte ich zu Boden, denn ich sprach zu mir selbst, nah dran, an einem erneuten Zusammenbruch, doch
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