ALTEA (Sturmflut) (German Edition)
und mich oder dich, mich und die anderen?“ Aljoscha lachte wieder leise auf.
„Uns alle. Wieso nicht?! Ich kann mir vorstellen, dass das eine lustige Wohngemeinschaft wird. Du und ich… dein Bruder, der mich leidenschaftlich hasst… und noch Veit dazwischen, um jeden Konflikt mit unnötigen Kommentaren anzuheizen… klingt nach Spaß.“
Auch ich musste darauf etwas lächeln, doch es war ein trauriges Lächeln. So komisch diese Vorstellung klang, für mich war es, was ich mir tatsächlich wünschte. Ich war des Kämpfens so müde. Immer wieder zu hoffen und dann verraten, belogen und enttäuscht zu werden, hatte mich so stumpf gemacht. Ich wollte diese Freiheit so sehr, doch auf dem Weg hatte ich begriffen, was ich alles opfern musste. Ich war nicht mein Vater. Ich konnte das nicht. Es war zu viel. Diese Gedanken waren unglaublich egoistisch, doch ich verstand nun meinen Fehler. Ich hatte geglaubt den richtigen Weg zur Freiheit zu kennen, was ich jedoch nicht tat. Mir war alles aus den Händen geglitten, weil ich die Realität nicht sehen wollte. Nun sah ich sie sehr deutlich und was ich mir wünschte war für mich nicht zu erreichen. Einfach nicht zu schaffen. Ich musste mich davon lösen und etwas Neues beginnen. Einen anderen Pfad einschlagen, auch wenn es nicht leicht fiel, denn nun wog meine Schuld schwer. Meine Hände waren voller Blut und ich wollte es ungeschehen machen. Es besser machen. Der naive Teil von mir wollte einfach verschwinden, mit all den Menschen, die mir wichtig waren. Dieser Teile hoffte auch Radu irgendwann davon überzeugen zu können, dass Aljoscha im Grunde ein guter Mensch war und ich ihn in meinem Leben brauchte. Leider wusste ich, dass das nie passieren würde. Selbst, wenn ich fortging, musste ich weiterführen, was ich angefangen hatte. Auf die eine oder andere Art musste ich weiterkämpfen.
Ich musste schwer schlucken, denn meine nächsten Worte fielen mir nicht leicht.
„Du… musst nicht mit mir gehen… mit uns, meine ich. Du würdest alles aufgeben und Emil damit nur einen Grund geben, dich aus dem Weg zu räumen… legal.“
Nach diesen Worten herrschte für eine Weile Stille zwischen uns. Ich sah in Aljoschas Gesicht und er schien mit seinen Gedanken ganz weit weg zu sein.
„Das würden sie sowieso.“ Gestand er schließlich. Ich starrte ihn fassungslos an, während er den Blick zu Boden senkte. „Ich kenne Ibrahim… Ich kenne ihn und auch die anderen, die so sind wie wir. Er ist ein echter Soldat. Er hat Ehre und er sieht in dem was wir tun seine Aufgabe. Seine Erfüllung. Aber wie jeder Mensch will er leben. Ist Europa erst einmal befreit, dann werden wir alle entsorgt. Alle ‚erschaffenen‘ Soldaten müssen verschwinden. Sie wollen nicht, dass irgendein Beweis auf diese gesamte Kriegsmaschinerie zurückbleibt. Am Ende soll alles so aussehen, als hätte sich Europa selbst befreit. Wir haben nur etwas… nachgeholfen. Keine Spione. Keine geheimen Militärprojekte. Keine Soldaten, deren Blut ein Serum gegen die Medikation ist… keine Verantwortung für Konsequenzen. Außerdem fürchtet man hinter vorgehaltener Hand schon länger, dass wir zu mächtig gemacht wurden. Wir sind ein Risiko, denn wir könnten ja irgendwann mal zu Sinnen kommen und anfangen etwas einzufordern. Absurd.“
„Ich- ich versteh nicht…?“
„Vermutlich hat Emil Ibrahim eingeredet, dass er seine eigene Entsorgung abwenden kann, wenn er Emils Befehle genauestens befolgt und uns alle tötet. Ibrahim will auch nichts mehr, als ‚jemand‘ sein. Nicht nur eine Waffe… ein… Ding. Jemand, der im Militär ernst genommen wird und Befehlsgewalt hat. Wer hätte das gedacht?“ Aljoscha lachte kurz auf. „Er und ich sind uns doch nicht so unähnlich.“ Sagte er spöttisch.
„Woher weißt du das alles? Von Anna?“ Ich sah ihn an und er nickte schwach.
„Ja. Sie hat mich gewarnt. Um genau zu sein, war es sogar ihr Plan zusammen zu fliehen.“
„Würde sie mit uns kommen?“ Fragte ich. Aljoscha schüttelte den Kopf.
„Nein. Sie würde zurückbleiben und dafür sorgen, dass man uns nicht folgt.“ Wieder schwiegen wir eine kurze Weile. Ich dachte an das Leben, das vor mir lag, wenn ich das alles tatsächlich überlebte. Mein Verstand konnte sich kein Bild davon machen. Wieder einmal lag alles in einem undurchsichtigen Nebel. Aber
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