Altenberger Requiem
dieselben Mädchen mit denselben Sprüchen. Ich erklärte, dass ich Mathisen privat kannte und nur ein paar kurze Fragen hätte.
»Er ist im Haus, hat aber ein paar Besprechungen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wann er Sie anrufen wird.«
»Hat es Sinn, wenn ich einfach vorbeikomme?«
Ich schielte auf den Zettel. »Lüderichstraße« stand da.
»Sie können es versuchen. Ich kann Ihnen aber nicht versprechen, dass Herr Mathisen sofort Zeit für Sie hat.«
»Kein Problem.«
19. Kapitel
Die Lüderichstraße befand sich in Humboldt-Gremberg, zwischen dem Kalker Autobahnzubringer und der rechtsrheinischen S-Bahn-Strecke. Ich kannte die Gegend. Dort hatten sich in den letzten Jahren allerlei kleine Firmen niedergelassen. Werbeagenturen, Modeateliers. Warum nicht auch eine Künstleragentur?
Der Golf rollte zwischen ockerfarbenen Mietskasernen dahin. Die Zufahrt war nicht so einfach zu finden, denn auf meinem alten Stadtplan waren die Köln-Arcaden noch nicht eingezeichnet - eine Einkaufsmeile, die sich vor einigen Jahren an die Kalker Hauptstraße geschoben und die Straßenführung verändert hatte. Plötzlich fand ich mich in einem Viertel wieder, dessen Straßennamen alle etwas mit Hessen zu tun hatten - der Teufel wusste, warum: Wetzlarer Straße, Odenwaldstraße, Nassaustraße, Taunusstraße. Ich passierte einen Kiosk mit Getränkekästenverkauf. Wenn ich mehr Zeit gehabt und einen Parkplatz gefunden hätte, wäre ich reingegangen und hätte nach Ebbelwoi gefragt.
Schließlich fand ich die Abzweigung, und zwischen gelb-bräunlichen kleinen Mietshäusern kam mein Ziel in Sicht: eine dunkelrote Backsteinmauer, in der sich ein rundes, fast burgähnliches Tor befand.
Früher war das wohl die Einfahrt zu einem Betriebsgelände gewesen; jetzt residierten hier Unternehmer, die Wert auf Loftatmosphäre legten. Am Eingang glänzte etwas im Boden. Es war der Rest einer alten Schiene, die man vielleicht aus denkmalpflegerischen Gründen belassen hatte.
Ich bremste und sah neben dem Eingang verschiedene moderne Firmenschilder aus Plexiglas, die an der alten Mauer so kontrastierend wirkten wie die Beschriftung an einer mittelalterlichen Ikone.
Jede Firmenbezeichnung trug ein passendes Logo. Zuerst fiel mir ein Schriftzug aus abstrahierten Buchstaben ins Auge: »Noni«, wobei das i am Ende so gestaltet war, dass dessen Pünktchen wie aus einer imaginären Champagnerflasche sprudelten. Ein Modeatelier, das sich auf Brautkleider spezialisiert hatte.
Auf der anderen Seite entdeckte ich einen Violinschlüssel. Das sah nach der Firma von Mathisen und seiner Frau aus.
Gerade hatte ich wieder Gas gegeben, um mich auf die Suche nach einem Parkplatz zu machen, da trat ich überrascht auf die Bremse - und das so abrupt, dass der Gurt blockierte.
Drei Autos weiter, auf der rechten Seite, stand ein rotes Auto. Winzig. Eine Nussschale auf Rädern. Stupsnasig. Die Knutschkugel.
Ich hatte mir Wonnes Autonummer nicht gemerkt, aber es war ihr Wagen. Irrtum ausgeschlossen. Schließlich hatte ich ziemlich viel Zeit darin verbracht.
Was hatte das zu bedeuten?
Meine Gedanken überstürzten sich, mittendrin brach der Vulkan in mir mit solcher Macht aus, als hätte er nur auf diese Gelegenheit gewartet. Ich glaubte sogar innerlich ein abgrundtiefes Rumpeln zu hören.
Während ich noch überlegte, was ich machen sollte, nahm ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung neben mir wahr. Jemand kam durch das Tor in der dunkelroten Mauer. Zwei Menschen. Zuerst Wonne. Meine Wonne. Und hinter ihr Mathisen. Wehendes weißes Haar. Eine glänzende Rolex an jedem Handgelenk.
Keiner der beiden beachtete mich. Wonne rief Mathisen etwas zu. Ich konnte es durch die Scheibe hören: »Du bist so ein Arschloch, weißt du das?«
»Yvonne, nun hör mir doch mal zu. Ich wusste das nicht!«
Sie drehte sich um, wutentbrannt, und ich erschrak, wie aggressiv sie wirkte. »Du wusstest es nicht? Eben hast du noch gesagt, du hättest nichts damit zu tun!«
Wonne hatte ihren Wagen erreicht, wollte einsteigen, doch Mathisen packte sie, hielt sie fest. Wonne schrie: »Fass mich nicht an! Fass mich nie wieder an, ist das klar?« Sie stieß ihn zurück, er blickte sie fassungslos und ziemlich belämmert an.
Wonne war eingestiegen, hatte den Motor angelassen und gab im Leerlauf Gas, als wolle sie ein Formel-1-Rennen gewinnen.
Innerhalb einer Sekunde war sie aus der Parklücke und knatterte davon.
Mathisen lief zurück zum Tor. Ich begann mich langsam aus meiner
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