Alter schützt vor Scharfsinn nicht
was?«
»Oh, ich glaube, eine ganze Menge. Bei der ersten Adresse, die sie mir gegeben hat, war zwar nicht viel zu erfahren, aber doch einiges.«
Sie klappte die Handtasche auf und holte ein ziemlich großes Notizbuch heraus.
»Ich habe mir bei jedem Besuch Notizen gemacht. Ich hatte ein paar Porzellanmenükarten mitgenommen.«
»Ach? Und was haben sie genützt?«
»Sie haben ein langes Gespräch über das Essen in Gang gebracht. Das war meine erste Quelle. Leider habe ich den Namen inzwischen vergessen.«
»Du solltest sie dir wirklich besser merken.«
»Ich schreibe mir keine Namen auf, sondern das, was mir die Leute erzählen. Und die Porzellanmenükarten haben Wunder gewirkt, weil sie sie an ein bestimmtes Essen erinnerten, von dem sie ganz begeistert waren. Sie hatten noch nie so was Gutes gegessen – und vor allem zum ersten Mal Hummersalat. Sie wussten zwar, dass er in den besseren Familien nach dem Braten serviert wurde, aber sie hatten es noch nie selbst erlebt.«
»Hm. Das hat dir nicht viel genützt.«
»Doch, das hat es. Sie haben nämlich gesagt, sie würden sich an den Abend immer erinnern. Und als ich nach dem Grund fragte, erklärten sie, wegen der Volkszählung.«
»Wegen der Volkszählung?«
»Ja. Ach, du kennst das doch, Tommy! Wir hatten erst eine Zählung. War es im vorigen oder im vorvorigen Jahr? Weißt du nicht mehr, man musste Erklärungen abgeben und Formulare ausfüllen? Jeder musste angegeben werden, auch wer am Stichtag bei einem übernachtete. Du kennst das doch: Wer hat am Abend des 15. November in Ihrem Haus übernachtet? Man musste die Namen eintragen oder die Gäste mussten unterschreiben, das weiß ich nicht mehr genau. Auf jeden Fall war an jenem Abend Volkszählung und jeder musste seine Gäste angeben und natürlich waren sehr viele Leute bei der Gesellschaft, die darüber geredet haben. Sie fanden es dumm und auch ungehörig, dass man ihnen etwas so Taktloses zumutete. Man musste nämlich angeben, ob man Kinder hatte und verheiratet war oder unverheiratet war und trotzdem Kinder hatte und so was mehr. Sie mussten lauter verzwickte Fragen beantworten, die sie nicht für angebracht hielten. Sie haben sich also aufgeregt und können sich deshalb an den Abend so gut erinnern.«
»Die Volkszählung kann nützlich sein, wenn sich das Datum feststellen lässt.«
»Meinst du, sie könnte uns was verraten?«
»O ja. Wenn man die richtigen Leute kennt, ist sicher leicht an die Unterlagen ranzukommen.«
»Übrigens erinnerten sie sich auch, dass über Mary Jordan gesprochen wurde. Alle haben gesagt, wie reizend sie gewirkt hätte und wie beliebt sie bei allen gewesen wäre. Sie hätten nie geglaubt – ach, du weißt, wie da geredet wird. Dann sagten sie noch, sie wäre zur Hälfte deutsch gewesen, und die Leute hätten es sich überlegen sollen, ehe sie sie einstellten.«
Tuppence setzte die leere Kaffeetasse ab und lehnte sich im Sessel zurück.
»Etwas Hoffnungsvolles?«, fragte Tommy.
»Nein, eigentlich nicht, oder vielleicht doch. Jedenfalls steckten die alten Leute voll Geschichten. Die meisten hatten sie von älteren Verwandten oder Freunden, Geschichten über verloren gegangene und wiedergefundene Dinge. Eine handelte von einem Testament, das in einer chinesischen Vase war. Oxford und Cambridge wurden auch erwähnt, obwohl ich nicht begreife, warum gerade dort etwas versteckt sein soll. Es kommt mir ziemlich unwahrscheinlich vor.«
»Vielleicht hatte jemand einen Neffen, der dort studierte und etwas mitgenommen hat.«
»Möglich, aber nicht wahrscheinlich.«
»Hat man direkt von Mary Jordan gesprochen?«
»Nein, nur Berichte aus zweiter Hand, keiner hat sie persönlich gekannt und gewusst, dass sie eine deutsche Spionin war. Sie hatten es von den Großmüttern, Großtanten, Schwestern oder Kusinen ihrer Mütter gehört oder von ›Onkel Johns Freund bei der Marine, der ganz genau darüber Bescheid gewusst hat‹.«
»Haben sie über ihren Tod gesprochen?«
»Sie brachten ihn mit der Spinat- und Fingerhutvergiftung in Verbindung. Alle hätten sich wieder erholt, sagten sie, nur Mary nicht.«
»Interessant«, murmelte Tommy. »Dieselbe Sache, nur eine andere Version.«
»Vielleicht gibt es zu viele Quellen«, sagte Tuppence. »Eine Frau namens Bessie berichtete, dass ihre Großmutter davon erzählt hätte. ›Aber‹, sagte sie, ›damals war das schon lange her. Sicher hat sie alles durcheinander bekommen. Das tat sie immer.‹ Weißt du, wenn sie alle
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