Alter schützt vor Scharfsinn nicht
reichte ihr das Buch.
»Ja, ja. Damals hatte jeder ein Geburtstagsbuch. Ich glaube, später ist es aus der Mode gekommen. Unsere Generation war wohl die letzte. In meiner Schule hatten es alle Mädchen. Wissen Sie, man trug sich in das Buch seiner Freundinnen ein und sie schrieben ihren Namen in das eigene Buch.«
Sie schlug es auf und begann zu lesen.
»Ach, ach«, murmelte sie. »Wie mich das an vergangene Zeiten erinnert! Ja, richtig: Helen Gilbert – natürlich. Und Daisy Sherfield. Sherfield? Ja, ich erinnere mich an sie. Sie hatte eine Zahnklammer, die sie immer herausnahm. Sie hat behauptet, sie könnte sie nicht vertragen. Und da sind Edie Crone und Margaret Dickson. Was für eine gute Schrift sie alle hatten. Viel besser als die Mädchen heutzutage. Na, und erst die Briefe meiner Neffen! Die kann ich kaum lesen. Es sieht wie Hieroglyphen aus, das meiste muss man erraten. Mollie Short, ja, die hat gestottert. Wie mir auf einmal alles wieder einfällt!«
»Viele werden nicht mehr – ich meine…« Tuppence verstummte aus Angst, etwas Taktloses zu sagen.
»Sie denken, die meisten sind tot, meine Liebe? Da haben Sie Recht. Die meisten, doch nicht alle. Ja, es lebt noch eine ganze Reihe von Menschen, die ich schon als Kind gekannt habe. Allerdings haben die meisten Freundinnen geheiratet und sind fortgezogen. Entweder waren die Männer beim Militär und wurden ins Ausland versetzt oder sie zogen in andere Städte. Zwei meiner ältesten Freundinnen leben in Northumberland. Ja, ja, das ist sehr interessant!«
»Damals gab es hier wohl keine Parkinsons?«, fragte Tuppence. »Ich habe den Namen nicht gefunden.«
»Nein, das war später. Sie möchten etwas über die Parkinsons herausbekommen, oder täusche ich mich?«
»Ja, das würde ich gern«, sagte Tuppence. »Es ist reine Neugier, wissen Sie, nichts anderes. Durch die alten Bücher bin ich auf den jungen Alexander Parkinson gestoßen. Ich habe angefangen mich für ihn zu interessieren. Und dann war ich neulich auf dem Friedhof und habe sein Grab entdeckt. Er ist sehr jung gestorben. Ich musste immer an ihn denken.«
»Er ist jung gestorben. Ja. Alle Leute scheinen es für sehr traurig zu halten. Er war ein sehr begabter Junge und man hat wohl gehofft – ach, dass er eine große Zukunft vor sich hätte. Er war nicht krank. Ich glaube, es war eine Lebensmittelvergiftung, bei einem Picknick. Mrs Henderson hat es mir erzählt. Sie weiß noch viel von den Parkinsons.«
»Mrs Henderson?« Tuppence sah sie fragend an.
»Sie kennen sie bestimmt nicht. Sie ist in einem Altersheim, etwa zwölf oder fünfzehn Meilen von hier entfernt. Es heißt Wiesengrund. Sie sollten sie mal besuchen, weil sie Ihnen sehr viel erzählen könnte. Auch über das Haus, das Sie gekauft haben. Damals hieß es Schwa l bennest. Jetzt hat es einen anderen Namen, nicht?«
»Lorbeerhaus.«
»Mrs Henderson ist ebenfalls sehr alt, das jüngste Kind einer großen Familie, und war Gouvernante. Und dann Gesellschafterin und Pflegerin von Mrs Beddingfield, die damals das Schwalbennest besaß – das Lorbeerhaus, meine ich. Sie erzählt sehr gern von früheren Zeiten. Ich finde wirklich, Sie sollten sie besuchen.«
»Ach, das hätte sie sicher nicht…«
»Meine Liebe, ich bin überzeugt, sie würde sich freuen. Besuchen Sie sie. Sagen Sie ihr, ich hätte es angeregt. Sie erinnert sich an mich und meine Schwester Rosemary und ich besuche sie auch gelegentlich, jetzt allerdings schon länger nicht mehr, weil es mir zu schwer fällt. Und dann sollten Sie auch Mrs Henley besuchen, die im Haus Zum Apfelbaum wohnt. Das ist auch ein Heim für alte Leute. Nicht ganz dieselbe Schicht, verstehen Sie, aber es wird sehr gut geführt. Und was Sie da an Klatsch zu hören bekommen! Die freuen sich bestimmt über jeden Besuch. Wissen Sie, wenn nur mal etwas den monotonen Alltag unterbricht.«
17
» D u siehst müde aus, Tuppence«, sagte Tommy, als sie nach dem Abendessen ins Wohnzimmer gingen, Tuppence sich mit mehreren lauten Seufzern in einen Sessel fallen ließ und dann auch noch gähnte.
»Müde? Ich bin erschlagen!«, sagte sie.
»Was hast du gemacht? Doch hoffentlich nicht im Garten gearbeitet?«
»Körperlich habe ich mich nicht übernommen«, erklärte Tuppence kühl. »Ich habe es dir nachgemacht; ich habe geistig gearbeitet und Ermittlungen angestellt.«
»So etwas ist auch sehr anstrengend. Wo eigentlich? Vorgestern hast du aus Mrs Griffin nicht allzu viel herausgeholt,
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