Altern Wie Ein Gentleman
Bemühungen.
»Damals habt ihr über mich und mein Studium den Kopf geschüttelt«, entgegnete er mit leichtem Triumph in der Stimme. Ich nickte betreten. »Aber mir war immer klar, dass ihr eines Tages zurückkommen würdet. Jeder trägt den Schöpfer in sich. Es liegt in deiner Hand, dich zu öffnen und ihm in deinem Leben Raum zu geben.«
Ich schaute ihn ratlos an.
»Damit kannst du nichts anfangen?«
»Nein.«
»Was hältst du von der Hoffnung?«
»Die ist schon wichtig im Leben.«
»Mehr als das. Sie ist alles!«
»Aha!«
»Aber nur die christliche, jede andere kann enttäuscht werden. Der Schöpfer jedoch wird dich nicht enttäuschen.«
Wir fanden nicht zusammen.
»Gib dir Zeit, öffne dich und vergiss nicht: Die Grundlage unseres Glaubens ist die Liebe.« Damit entließ er mich, ohne dass ich klüger geworden wäre. Aber vermutlich ist Klugheit gar nicht gefragt, denn der Versuch, Gott zu begreifen, kommt nie zum Ziel.
Recht besehen, spielen Vergänglichkeit und Jenseits vorerst eine geringe Rolle im Gesprächsrepertoire der »Vierziger«. Wir haben noch Zeit. Wir sind zwar erschrocken über unsere transzendentale Bindungslosigkeit, aber verdrängen das Thema einstweilen. Mag sein, wir sind zu weich und unerfahren für den Atheismus und dessen unerbittlichen Blick in den Abgrund. Deswegen wollen wir getröstet sein, wissen jedoch nicht, von wem. Die alten Quellen bleiben uns verschlossen. Die Suche nach neuen ist beschwerlich und der Erfolg zweifelhaft. Also schieben wir das Problem auf Wiedervorlage in die Zukunft, eine Existenztechnik, mit der wir in der Vergangenheit mehrfach gute Erfahrungen gemacht haben.
Wenn ich das Thema vorsichtig in meinen Kreisen anspreche, ernte ich meist den »Blick«, eine überaus komplexe Geste, die mit einem Wimpernschlag besagt: Was soll denn das? Wie bist du drauf? Stör mich nicht!
»Ich weiß, was du meinst«, heißt es dann, »aber das lass ich noch nicht an mich ran. Das hat noch Zeit, denke ich.«
»Gott ja, die Religion. Irgendetwas wird da sein, aber was? Auf jeden Fall keine Hölle und schon gar kein Paradies.«
Wenn das Thema mit Jüngeren zur Sprache kommt, stoße ich dagegen auf Interesse und unkomplizierte Offenheit. Dann ist schnell von Spiritualität die Rede, von tiefen Wahrheiten, dem gefährdeten Selbst, von der eigentlichen, der inneren Existenz und geheimnisvollen Pfaden dorthin. Zu meinem Leidwesen verbinde ich mit diesen Begriffen keine Vorstellungen. Sie versickern in mir wie ein Wassertropfen in der Wüste.
Bei meinen tastenden und ungelenken Bemühungen stoße ich auf einen unübersehbar vielfältigen Glaubensmarkt, der in den letzten zwei Jahrzehnten entstanden ist. Das üppige Angebot wendet sich auch an jene Vertreter meiner Generation, die sich am Lebensabend auf die Suche nach Glaube oder Gewissheit machen.
Die meisten Angebote in den wohlsortierten Auslagen sichern die Wiedergeburt in den unterschiedlichsten Formen zu. Das entspricht den Wünschen der Kundschaft und erklärt die gegenwärtige Popularität fernöstlicher Glaubenslehren und daraus abgeleiteter Mischformen. Offensichtlich glaubt es sich einfacher an die Wiedergeburt als an jene vage Vorstellung einer Seelenansammlung im Jenseits, deren Besetzung zudem von Gottes Gnaden, dessen Pläne unerforschlich bleiben müssen, abhängig ist.
Die Vorstellung, man bleibe, in veränderter Form zwar, aber immerhin in dieser Welt, hat zwar ebenso wenig eine empirische Basis wie die Hoffnung auf ewiges Leben im Jenseits, aber sie erscheint attraktiver. Groß geworden in einer weltgeschichtlich einmalig hedonistischen Massenkultur, würden wir uns in einem Paradies nach christlicher Vorstellung voraussichtlich zu Tode langweilen. Außerdem versprechen die fernöstlichen Meditationstechniken zusätzlichen Gewinn durch Selbsterkenntnis, ein Thema, das viele »Vierziger« noch aus ihrer späten Jugend kennen. Damals hatte man es häufig unerledigt zur Seite gelegt. Jetzt ist Zeit und Gelegenheit, es wieder aufzunehmen und zu Ende zu führen. Obendrein gibt es keine fest gefügten Hie-
rarchien und Autoritäten, mit denen sich meine Generation immer schwergetan hat. Und schließlich liegt das Schicksal jedes Einzelnen jenseits des Todes in seinen eigenen Händen und ist unabhängig vom Gnadenakt des Schöpfers. Bei aller fremdartigen Mystik fernöstlicher Transzendenzentwürfe ist jenes Moment der Selbsterlösung mit den westlichen Vorstellungen von selbstbestimmter Lebenspraxis eher
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