Altern Wie Ein Gentleman
heißen Monaten besuchen, um herauszufinden, ob man körperlich gerüstet ist für hohe Temperaturen und tropische Luftfeuchtigkeit.
Herrschen am Ziel meiner Träume Sicherheit und stabile politische Verhältnisse? Man möchte schließlich auch im Ausland gefahrlos über Straßen gehen können und keine Angst vor Einbrechern haben müssen, die im Alter aus unerfindlichen Gründen häufig zunimmt. Meine Mutter hatte nach und nach die Tür zu ihrer Wohnung mit vier zusätzlichen Schlössern gesichert, und da die Schlüssel fast identisch waren, verbrachte sie oft lange Zeit vor ihrer Wohnung, bis alle Schlüssel passten.
»Wir haben Schwierigkeiten, die Apartments zu vermieten, die zur ebenen Erde liegen«, erzählte mir der Heimleiter des »Rosenparks«, als wir zum ersten Mal durch die Anlage gingen, »obwohl sie Terrassen haben, auf denen man den Sommer verbringen kann, und reichlich Platz für Sträucher und Blumen.«
»Schwer begreiflich.«
»Die Leute haben Angst vor Einbrechern. Es ist zwar noch nie etwas passiert – kaum vorstellbar, dass jemand an ihre Habseligkeiten will. Aber sie liegen nachts wach im Bett, haben Angst und rufen bei jedem Geräusch die Nachtbereitschaft. Es kommt mit dem Alter. Wo wohnen Sie?«
»Unter dem Dach.«
»Da sind Sie ja vorläufig gut aufgehoben.«
Die meisten von uns leben seit Jahrzehnten behaglich in der bewährten Umgebung von Verwandten, Freunden und Bekannten und haben seit geraumer Zeit keine neuen Kontakte mehr gesucht. In fernen Ländern kann es für denjenigen einsam werden, der nicht mehr über genügend Energien und Talent verfügt, um in einer fremden Kultur und unter erschwerten Umständen soziale Beziehungen aufzubauen. Warum auch sollten Einheimische dauerhafte Beziehungen zu Alten suchen, die auf der Flucht vor schlechtem Wetter und auf der Suche nach einem anderen Leben sind? Der spanische Kellner, den wir daheim kaum wahrgenommen haben, kann auch auf Mallorca nicht zur bedeutsamen Bezugsperson werden.
Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration und für ein sozial erfülltes Leben in der Fremde ist zweifellos die Beherrschung der Landessprache. Das gilt nicht nur für unsere Breitengrade, sondern in noch höherem Maß für die Länder jenseits der Alpen. Das Lernen von Vokabeln und das Studium fremder Grammatik wird jedoch im Alter, wenn das Gehör nachlässt und das Gedächtnis ungern Neues aufnimmt, mühsam.
Und noch etwas erschwert den Aufbruch in die Fremde: Mit den Jahren kommt die Furcht vor gesundheitlichen Katastrophen wie Infarkten im Kopf oder am Herzen. Die langen, angsterfüllten Nächte in deren Erwartung zählen zu den lästigsten Begleiterscheinungen im Alter. In der Heimat gibt es eine vorzügliche Rettungskultur. Zwischen Meldung und Eintreffen eines Krankenwagens vergehen im Durchschnitt etwa fünfzehn Minuten. Notaufnahmen sind Tag und Nacht darauf vorbereitet, Patienten zu versorgen. Das rettet ungezählte Leben und sorgt für ruhigeren Schlaf bei den Älteren und Ängstlichen. Wer sich entschließt, im Süden neues Glück zu suchen, muss wissen und akzeptieren, dass er im Notfall geringere Chancen hat, rasch und gut versorgt zu werden.
Es sind hohe Barrieren, die zu überwinden sind. Ich habe den Mut dazu nicht gefunden, wenngleich sich meine Fantasie überall umgeschaut hat. Trotzdem bin ich schließlich daheim geblieben und dort zum Fachmann für den kleinteiligen Zeitvertreib geworden.
Nach dem Frühstück verlasse ich in der Regel meine Wohnung, überquere die Straße und steuere einen der Coffeeshops an, die sich wie die Karnickel vermehren und alle das Gleiche im Angebot haben. Dort überlege ich kurz, ein klassisches Café mit reichhaltiger Vitrine zu eröffnen, verwerfe den Gedanken wieder und beginne Zeitung zu lesen: gewissenhaft den Sportteil, interessiert die Kulturseiten und flüchtig den bedeutsamen Rest. Mir ist das Politische, das einst viel Raum in meinem Leben eingenommen hat, abhanden gekommen. Seit Rentenantritt ist es bis auf kümmerliche Reste aus dem Themenkatalog meiner Gespräche verschwunden. Da meine gleichaltrigen Gesprächspartner politische Fragen auch nur noch selten anschneiden, habe ich mich gelegentlich bei ihnen erkundigt, wo ihre Interessen aus unseren gemeinsamen Tagen eigentlich geblieben seien.
»Mich interessiert nur noch das Ergebnis, den langen Weg dorthin erspar ich mir«, erklärte mir ein Freund, mit dem ich regelmäßig Nudeln esse.
Dann könnten wir uns doch
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