Altern Wie Ein Gentleman
sich mit siebzig zum dritten Mal, und der Sohn verführte noch im hohen Alter zahlreiche Frauen. Geschminkt und mit einer prächtigen Perücke auf dem kahlen Haupt wirkte er mit achtundsiebzig Jahren, so wird berichtet, wie eine »Schildkröte, die den Kopf unter ihrem Panzer hervorstreckt«. Trotzdem erfreute er sich bei den Schauspielerinnen der Comédie Française ungebrochener Beliebtheit.
Henry Miller, Charlie Chaplin, Pablo Casals und Picasso setzten diese Tradition in unserer Zeit, unter großer öffentlicher Anteilnahme und ohne moralische Vorhaltungen, fort. Seither hat das gutbetuchte Bürgertum den Adel ersetzt, und unsere Politiker haben sich den Künstlern angeschlossen. Was einst Brauch war in gesellschaftsfernen Kreisen, ist heute in ihrer Mitte angekommen. Mit lässiger Selbstverständlichkeit legen konservative Volksvertreter die Mütter ihrer erwachsenen Kinder beiseite und wenden sich jüngeren Frauen zu. Es ist nicht bekannt geworden, dass Karrieren deswegen beschädigt wurden. Das alte Eheversprechen »Ich will dich lieben, achten und ehren und dir stets die Treue halten« hat offenkundig auch unter ihnen ausgedient.
Freilich, die neue Beweglichkeit steht auf tönernen Füßen und ist nicht umsonst zu haben, wie schon Chateaubriand ahnungsvoll notierte: »Wenn du mir sagst, dass du mich liebst wie einen Vater, entsetzest du mich; wenn du vorgibst, mich zu lieben wie einen Geliebten, glaub’ ich dir nicht. In jedem jungen Mann werde ich den bevorzugten Rivalen erblicken. Deine Achtung wird mich meine Jahre spüren lassen … Das Alter macht alles hässlich, selbst das Glück.«
Wer sich im Alter jung bindet, findet sich unversehens in fremden Räumen wieder, deren Vorlieben, Moden, Musik, Sprache und Zerstreuungskultur sich unbemerkt hinter seinem Rücken entwickelt haben. Manches wird ihm zwar bekannt vorkommen, aber selbst das hat der alte Freier vor langer Zeit hinter sich gelassen.
Anderes wird ihm neu sein und für immer verschlossen bleiben: die Kommunikationstechnik in dunklen, lauten Räumen, ungewohnte Worte, die bei ihm peinlich wirken, oder leichte Gesprächsthemen, die der Stoff sind für jene unverbindlichen Plaudereien, aus denen unser Leben größtenteils besteht. Ein älterer Herr, der einen neuen Film »geil« findet oder eine Ausstellung »abgefahren«, hat sich im Handumdrehen ins soziale Niemandsland abgesetzt. Von dort gibt es zwar Pfade zurück, aber allzu häufig sollte er diese nicht begehen müssen.
Der Alltag wird zu einer ständigen Gratwanderung zwischen der alten Identität und dem geborgten Lenz. Der Alte wird zu seinem eigenen Doppelgänger. Er ist zugleich Teilhaber in einer Situation und strenger Beobachter seiner selbst, ständig bemüht, Peinlichkeiten zu vermeiden. Die Regeln sind neu, und die alten haben ihre Gültigkeit verloren. Die Balance zwischen der eigenen Vergangenheit und einer undeutlichen Zukunft fordert ständige Aufmerksamkeit. Man lebt fortwährend in kleiner Furcht vor unmerklichen Fehltritten, die auf jenes Thema hindeuten, das man vermeiden möchte: das des Alters. Die leichte Gezwungenheit alter Gatten junger Frauen, verbunden mit einem vorsichtigen Misstrauen, haben hier ihre Ursachen. Es kann einsam werden für den einen Teil des Doppelgängers in einer Welt, in der er nicht mehr bei sich selbst sein kann. Wenn derart soziales Zwielicht herrscht, geht man gerne aus dem Feld und zieht sich auf sicheres Terrain zwischen den eigenen vier Wänden zurück. »Mein Mann bleibt abends lieber gemütlich zu Hause«, erklärt dann die junge Frau seine seltenen Auftritte in der Öffentlichkeit.
Jeder neuen Bekanntschaft aus der Generation der Gemahlin geht derselbe Gedanke durch den Kopf: »Was will die nur mit dem?« Freilich wird keiner dem Alten gegenüber seine Bedenken äußern, das bleibt der Jungen überlassen, die ständig angesprochen und mit gutem Rat versorgt wird, der nach Verwunderung und artigen Komplimenten stets in der besorgten Warnung endet: »Das kann auf die Dauer nicht gut gehen!«
»Wenn ihr euch anhören müsstet, was wir uns anhören müssen, würdet ihr die Finger von uns lassen«, behauptete leicht verbittert eine Bekannte, als wir hinter dem Rücken ihres älteren Gatten über die Beziehung sprachen. »Wenn man es gut trifft, heißt es: ›Jetzt passen die beiden noch zusammen, aber was soll in fünfzehn Jahren werden?‹«
»Ich war gestern mit meiner Frau in einem angesagten Klub«, berichtete ein ehemaliger
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