Alterra: Der Herr des Nebels: Roman (German Edition)
an.
»Was wisst ihr denn über den … Unfall, wie ihr es nennt?«, fragte Ambre.
»Kurz nach Weihnachten gab es einen atomaren Zwischenfall«, erklärte Marvin hastig.
»Einen nuklearen Zwischenfall«, korrigierte ihn seine Schwester.
»Jaja. Ist doch dasselbe!«
»Habt ihr den Unfall beobachtet?«, fragte Ambre verwundert.
»Nein! Sonst wären wir doch mausetot«, antwortete Marvin, als wäre Ambre nicht ganz gescheit. »Aber wir wissen es halt.«
»Und weshalb glaubt ihr, dass es ein nuklearer Zwischenfall war?«
»Ihr wart doch da draußen, oder? Und habt gesehen, wie es da aussieht? Nur Atomkraft kann so was verursachen! Alles ist hinüber!«
»Wie habt ihr die ganzen Monate überlebt, ohne die Stadt zu verlassen?«, fragte Tania erstaunt.
»Im Hotel gab es genug Lebensmittelvorräte«, erklärte ein ziemlich kleiner Junge. »Und in der Stadt auch … Wir haben die Supermärkte geplündert!«
»Ja, aber es war höchste Zeit, dass ihr kommt!«, meldete sich ein anderer zu Wort. »Lange hätten wir nicht mehr durchgehalten!«
»Sind denn nie andere Kinder vorbeigekommen? Oder vielleicht sogar Erwachsene?«, wollte Ambre wissen.
»Nein, ihr seid die Ersten«, meinte Tina.
»Wir warten schon seit einer Ewigkeit auf euch!«, rief Marvin. »Also, wann ziehen wir los? Ist ganz Kanada zerstört, oder hat es nur Quebec getroffen?«
»Und was ist mit dem Norden der USA?«, fragte ein weiterer Junge hastig. »Hat der Unfall auch Vermont zerstört, oder ist da alles in Ordnung?«
»Und Ontario?«, fragte ein anderer.
»Und Montreal?«
Ambre seufzte.
»Es wird eine Weile dauern, euch alles zu erklären. Das dürfte eine ziemliche Enttäuschung für euch sein.«
Sie begann zu erzählen. Vom Sturm, von den Erwachsenen, die zu Mampfern oder Zyniks geworden waren, davon, dass sie die Zyniks jetzt Große nannten, von den Pans, von Eden, vom Krieg und vom Abschluss des Friedensvertrags.
Anfangs waren ihre Zuhörer noch skeptisch, doch dann bekamen sie es mit der Angst zu tun. Am Ende standen vielen Tränen in den Augen. Auf ihren Gesichtern spiegelten sich verschiedene Gefühle: Zorn, Trauer, Abwehr … Jeder ging auf seine Art und Weise mit den Neuigkeiten um.
Mehrere Kinder und Jugendliche weigerten sich schlichtweg, Ambre zu glauben. Sie musste all ihren Sanftmut aufbringen, um sie zu überzeugen.
Schließlich trat im großen Salon Stille ein. Lange Zeit brach niemand das Schweigen.
»Es tut mir leid«, murmelte Ambre schließlich.
Marvin hatte in den Armen seiner Schwester Zuflucht gesucht.
»Dann werden wir unsere Eltern also nie wiedersehen?«, fragte er.
Ambre schenkte ihm ein mitfühlendes Lächeln.
»So ist es.«
»Aber der Krieg gegen die Erwachsenen ist zu Ende, stimmt’s?«
»Ja. Noch läuft nicht alles reibungslos zwischen Großen und Pans, aber wir schaffen es trotzdem, einigermaßen zusammenzuarbeiten. Soweit ich weiß, hat bisher allerdings kein Pan seine Eltern wiedergefunden. Wenn man bedenkt, was für ein Verhältnis die Großen zur Vergangenheit und vor allem zu Kindern haben, glaube ich auch nicht, dass derzeit ein glückliches Wiedersehen möglich ist. Ich will dir lieber keine falschen Hoffnungen machen, verstehst du?«
Marvin nickte und wischte sich tapfer die Tränen vom Gesicht.
Ambre ließ den Schlossbewohnern Zeit, die Neuigkeiten zu verdauen, bevor sie zum Abschluss auf die Alterationen zu sprechen kam. Dann fragte sie ihre niedergeschmetterten Zuhörer:
»Und was ist mit euch? Habt ihr irgendwelche besonderen Fähigkeiten entwickelt?«
Sie hoffte, dass sie die Kinder durch den Themenwechsel auf andere Gedanken bringen konnte. Sie hatten später noch genug Zeit zum Nachdenken.
CPO nickte leicht.
»Und könnt ihr diese Fähigkeiten kontrollieren?«, wollte Ambre wissen.
» Die Fähigkeit«, erwiderte CPO.
»Ihr habt nur eine einzige Alteration? Habt ihr alle dieselbe, oder hat sie nur einer von euch?«
»Es ist ein bisschen speziell.«
»Wie meinst du das?«
CPO blickte zögernd auf seine Hände, dann sagte er:
»Unsere … Alteration, wie du es nennst, ist gemeinschaftlich. Nur wenn wir alle zusammen sind, können wir sie gebrauchen.«
»Eine gemeinschaftliche Alteration? Genial! So etwas habe ich noch nie gesehen! Was ist es?«
CPO schaute seine Kameraden an. Er wollte ihre Zustimmung einholen, bevor er mehr sagte.
Dann blickte er Ambre tief in die Augen und erklärte:
»Gemeinsam können wir tun, was wir wollen. So ziemlich alles.«
39. Zirkus
A
Weitere Kostenlose Bücher