Alterra - Der Krieg der Kinder: Roman (German Edition)
Jaulen aus dem Waldesinneren.
Und gleich darauf sprangen zahllose Gestalten ins Freie.
Groß und bedrohlich.
19. Das Mobile
D er Verschlinger kam wieder, um seinen Hunger zu stillen, und niemand versuchte, sich gegen ihn zu wehren.
Als Tobias nach seiner Erkundungstour die anderen Gefangenen gewarnt und eine Verteidigungsstrategie vorgeschlagen hatte, mit der sie das Monster vom Betreten der Grotte abhalten konnten, hatten sich alle geweigert, ihn überhaupt anzuhören. Stattdessen verkrochen sie sich in ihren Nischen und beteten darum, verschont zu bleiben.
Die Spinne huschte an Tobias vorbei, und er spürte, dass sie zögerte.
Denn in diesem Augenblick spülte eine mächtige Flutwelle über den Strand seines Geistes hinweg, auf dem die Dämme seines Willens und seiner Selbstbeherrschung standen, und machte seine innere Abwehr zunichte. Unaufhaltsam breitete sich das Grauen in ihm aus.
Und das witterte auch die Spinne.
Da versetzte sich Tobias innerlich auf seinen Strand, um das Wasser erst mit den Händen zurückzustoßen und dann mit der Kraft seiner Gedanken, was besser funktionierte.
Die Spinne hob die Vorderbeine an, als wolle sie ihn abtasten, und eine weitere gigantische Welle brach über das Ufer herein.
Tobias war kurz davor, sich von dem brodelnden Wasser mitreißen zu lassen. Sollte das Monster doch gewinnen, dann war wenigstens alles vorbei!
Aber sein Lebenswille war stärker und baute sich wieder vor der Wasserwand auf, um sie abzuwehren. Blitzschnell wuchs er zu einem unüberwindlichen Deich an.
Und als Tobias schließlich die Augen öffnete und fest damit rechnete, von der nächsten Welle überrollt zu werden, hatte sich das Wasser zurückgezogen. Der Verschlinger hatte sich abgewandt und konzentrierte sich auf eine andere Nische.
Da tat Tobias etwas Dummes.
Als er das verzweifelte Kreischen eines Mädchens vernahm, das von der Spinne gepackt wurde, stürzte er sich mit einem Knochen in der Hand auf den Verschlinger.
Ein Tritt des Ungeheuers sandte ihn zurück in seine Ecke. Er prallte so heftig auf, dass er kurz das Bewusstsein verlor.
Als er wieder zu sich kam, hatten die Schreie aufgehört. Es war zu spät.
Das Monster spuckte das warme Skelett des Mädchens aus. Tobias brach in Tränen aus.
Dieser Alptraum würde nie enden, wenn er nichts unternahm.
An sich war die Lehre, die er daraus gezogen hatte, sehr einfach: Er durfte nur auf sich zählen.
Sobald der Verschlinger verschwunden war, lief Tobias zur Tür. Die Spinne hatte das runde Gittertor wieder mit ihrer klebrigen Seide eingeschmiert.
»Ich hasse Spinnen«, fluchte Tobias leise, packte einen Knochen und feilte drauflos.
Nachdem er durch den Spalt geschlüpft war, tappte er langsam und vorsichtig den Gang hinauf und vergewisserte sich bei jedem Schritt, dass der Verschlinger ihm nicht irgendwo auflauerte. Dann sah er endlich den grauen Schimmer der Nacht.
Keine Spinne in Sicht.
Tobias wagte einen Blick ins Freie.
Eine düstere Felslandschaft. Vom Wind geschliffene Menhire, scharf wie Klingen. Ausgedörrte, von bedrohlich wirkenden Steinen übersäte schwarze Erde.
Tobias bemerkte sofort, dass an dem bleiernen Himmel keine Sterne leuchteten. Stattdessen zuckten immer wieder geheimnisvolle Blitze wie verkrümmte Bogen am Horizont auf. Es war totenstill.
Tobias trat auf die kahle Erde hinaus und blickte sich um.
In der Ferne sah er den Verschlinger hinter einer Anhöhe in etwas verschwinden, das wie eine weitere Grotte aussah.
Er stieg auf eine Erhebung, um sich eine bessere Übersicht zu verschaffen.
Bald machte er eine Gestalt aus, die langsam zwischen den spitzen Steinen hin und her wanderte, und beschloss, ihr zu folgen.
Auf dem wüstengleichen Gelände kam Tobias schnell voran, und so schlich er sich mutig in die Nähe des Wesens.
Es trug ein langes, glockenförmiges Gewand, und sein Gesicht war unter einer riesigen Kapuze verborgen. Tobias war sicher, dass er einen Menschen vor sich hatte. Zwei Hände waren sichtbar, die Hände eines Mannes. Sie zogen an einer verrosteten Kette, die eine Falltür öffnete. Ein rot-weißes Licht drang aus dem Schacht. Als der Mann sich darüberbeugte, wurde seine Kapuze in das gespenstische Licht getaucht, doch von seiner Position aus konnte Tobias das Gesicht nicht erkennen. Er fluchte in sich hinein, wollte aber nicht riskieren, entdeckt zu werden.
Der Mann blieb eine Weile über den Schacht gebeugt stehen, dann schüttelte er den Kopf und schloss die Falltür.
Tobias
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