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Alterra. Im Reich der Königin

Alterra. Im Reich der Königin

Titel: Alterra. Im Reich der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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flickten sie die Risse und Löcher in ihren Kleidern. Tobias reinigte seine Wunde, und Matt legte seine schwere Weste aus Kevlar ab. Um diese Zeit fehlte ihm Plusch immer besonders. Matt liebte es, sich beim Einschlafen oder später in der Nacht an seine Hündin zu schmiegen. Er fragte sich, ob das Leeregefühl, das sie in ihm hinterlassen hatte, eines Tages verschwinden würde, ob er sie jemals ganz vergessen könnte. Als er die Augen schloss, hörte er ganz in der Nähe einen Kauz schreien.
    Es war ihre erste Nacht in freier Natur nach einer Woche in bequemen Betten, und trotz ihrer weichen Schlafsäcke beeinträchtigten der harte Boden und die nächtliche Feuchtigkeit ihren Schlaf.
    Am Morgen machte sich Ambre auf die Suche nach einer Quelle, um sich zu waschen, fand aber nichts, und so marschierten sie wieder los, sobald die Staubfahne am Horizont auftauchte.
    Am Ende des Vormittags taten ihnen die Füße weh, die Hitze wurde immer drückender, und ihre Rucksäcke schienen eine Tonne zu wiegen. Sie hatten sich an die Temperaturen in den luftigen Höhen des Blinden Waldes gewöhnt und hatten ganz vergessen, dass unten Sommer herrschte. Sie schwitzten schrecklich, tranken viel, und ihre Wasserreserven leerten sich bedenklich.
    Seit mehreren Kilometern folgten sie einer Art Pfad aus zertretenem Gras und rissiger Erde. Eine kleine, oft begangene Schneise zog sich hügelauf, hügelab durch Unterholz und Farnkrautfelder. Die Vielfalt der Blumenarten entzückte die Wanderer: Die Blüten strahlten in sämtlichen Blautönen, von Grünblau zu Violett, gemischt mit purpurnen, gelben und orangefarbenen Farbtupfern, als hätte ein Maler seine ganze Palette ausgebreitet; die bunten Wiesen verströmten sanfte Düfte, die vom Sonnenlicht noch verstärkt wurden.
    Tobias ging an der Spitze, die Riemen seines Rucksacks fest im Griff, einen Grashalm zwischen den Lippen. Sein Bogen schwang auf seinem Rücken im Rhythmus seiner Schritte. Wie der gute kleine Pfadfinder, der er einmal gewesen war. Matt beneidete ihn um seine Unbekümmertheit, die beinahe lässig wirkte.
    Das ist nur eine Fassade,
dachte er,
Tobias ist von Natur aus eher der ängstliche Typ. Er hätte sich auf der Carmichael-Insel pudelwohl gefühlt, und dennoch ist er in dieser schwierigen Zeit hier bei mir, weil ich sein Freund bin, weil ich das Einzige bin, das ihm von seinem alten, behüteten Leben noch bleibt …
    In diesem Augenblick wurde sich Matt bewusst, dass Tobias mit nichts dastünde, wenn er sterben sollte. Sein Freund klammerte sich an ihn wie an eine Rettungsboje inmitten dieses riesigen Ozeans, in den er sich verirrt hatte.
    Was wird aus ihm, wenn ich nicht mehr da bin?
    Matt dachte nicht oft an den Tod, noch weniger an seinen eigenen. Das war doch ziemlich komisch. Sich vorzustellen, wie man starb, das ging ja noch, aber wirklich tot zu sein! Schluss, aus, das Nichts … Und wenn es ein Leben nach dem Tod gab? Ein Paradies, eine Hölle? Nein … Daran glaubte er nicht. Die Vision der Bibel erschien ihm viel zu eindimensional für eine so komplexe Welt. Sie diente nur dazu, die Angst vor dem Leben und dem Sterben in vernünftige Bahnen zu lenken. Wie nannten das die Mediziner noch mal?
Ein Anxiolytikum! Die Bibel ist ein Angstlöser!
    Und doch, merkte Matt jetzt, wo er darüber nachdachte, hatte die Menschheit im Laufe ihrer Zivilisationsgeschichte ein gemeinsames Gedächtnis und eine Vorstellung von der Zukunft entwickelt – und damit ein Ziel.
Also hat der Mensch selbst seinem Leben einen Sinn gegeben, nicht Gott!
    Matt konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ein Gott alles vorherbestimmt hatte, vom Affen bis in die heutige Zeit.
Wozu dann all die Generationen, die als Wilde gelebt haben, bevor es die ersten Kulturen gab …
    Dann dachte er an das Heldentum, von dem er früher immer geträumt hatte.
    Das fiel genau in diese Kategorie. Nach Heldentum zu streben, gab dem Leben einen Sinn. Bereit zu allem, um seine Suche zu vollenden. War das Heldentum eine weitere Antwort des Menschen auf die Leere in seinem Dasein? Eine Alternative zu Religion? Das eine schloss das andere ja nicht aus …
    Was war an jenem Dezembertag geschehen, als sich alles auf einen Schlag verändert hatte? Steckte ein Gott hinter alldem? Die Theorie von der allmächtigen Natur gefiel ihm. Plötzlich erinnerte er sich an einen Augenblick auf der Insel, als Ambre ihm geraten hatte, den Glauben jedes Einzelnen mehr zu respektieren.
    Ich glaube, sie hat recht. Die Erde hat

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